3. Deutsch-Arabisches Gesundheitsforum
Am 28. und 29. 10 2008 fand zum dritten Mal das Deutsch-Arabische Gesundheitsforum statt, zum ersten Mal in Hamburg. Gewohnt international präsentierte sich die Hansestadt vor 250 Ärzten, Vertretern der medizinischen und pharmazeutischen Industrie sowie Gesundheitspolitikern aus Deutschland und den arabischen Ländern.
Ghorfa-Präsident Dr. Thomas Bach lobte zum Auftakt des Gesundheitsforums Hamburg als führenden Medizinstandort in Deutschland. Im Gesundheitstourismus nach Deutschland, von dem die nördliche Millionenstadt einen großen Teil aufnehme, müsse man sich allerdings auf Grund des Baus von Gesundheitszentren und -städten in den arabischen Ländern, wie z. B. Dubai Healthcare City oder Hamad Medical City in Doha, neuen Herausforderungen stellen. Hier sollten deutsche Klinikunternehmen neue Geschäftsfelder entschlossen nutzen. Auch in anderen Geschäftsbereichen ist der gute Ruf, den deutsche Unternehmen in der arabischen Welt genießen, hartem Wettbewerb ausgesetzt, etwa in der Medizintechnik und der Pharmaindustrie, in denen Anbieter aus anderen Regionen auf den Plan treten. Nach wie vor bestehe aber hoher Investitionsbedarf, denn z. B. die Staaten des Golfkooperationsrates verfügen insgesamt über weniger als 60.000 Krankenhausbetten, also durchschnittlich zwei Betten je 1.000 Einwohner, während in Europa und Nordamerika diese Zahl doppelt so hoch liege.
Die langjährigen Verbindungen zur arabischen Welt hob Fritz Horst Melsheimer hervor, Vizepräses des Mitveranstalters Handelskammer Hamburg und Vorstandsvorsitzender der HanseMerkur Versicherungsgruppe. Unter den neuen Arbeitsgebieten innerhalb der Kooperation Hamburgs mit den Ländern Arabiens nehme die Gesundheitswirtschaft, so Melsheimer, einen herausragenden Platz ein, die inzwischen zwölf Prozent zum BIP der Hansestadt beitrage. Über 90.000 Arbeitsplätze habe man in allen Bereichen des Gesundheitswesens geschaffen.
Diese Vorteile der Hansestadt betonte auch Hamburgs Gesundheitssenator Dietrich Wersich. Vor dem Hintergrund, dass die arabischen Golfstaaten ganz besonders im Blickpunkt der Senatspolitik stünden, freue er sich, dass das Gesundheitsforum in Hamburg stattfinde. Der Senator erinnerte an die Jahrtausende alte Tradition arabischer Medizin, die zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert via Spanien nach Europa gelangt sei.
Zu den herausragenden Kliniken Hamburgs und einer der größten Norddeutschlands gehört das Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE), Mitveranstalter des Gesundheitsforums. Dr. Mathias Goyen, Geschäftsführer von dessen Tochter UKE Consult und Management GmbH, zählte die vierzehn medizinischen Zentren mit achtzig Kliniken und Instituten auf, die das UKE umfasse. Onkologie, Neurowissenschaften, Kardiologie, Transplantationsmedizin und Pädiatrie gehöre zu den UKE-Spezialisierungen. Gerade auf arabische Patienten sei man durch etliche, auf deren spezielle Bedürfnisse zugeschnittene Dienstleistungen eingestellt.
Prof. Dr. med. Ossama Abdulmajed Ali Shobokshi, ehemaliger Gesundheitsminister des Königreichs Saudi-Arabien und jetzt Botschafter seines Landes in Deutschland, verwies auf den durch höhere Lebenserwartung und Einkommen steigenden Bedarf für anspruchsvolle medizinische Dienstleistungen. Saudi-Arabien werde in den kommenden fünfzehn Jahren 43 Mrd. saudische Rial in den Ausbau des Gesundheitswesens investieren. Neben dem Krankenhausbau biete die Krankenversicherungsbranche gute Geschäftschancen. In diesem, wie in allen Sparten des Gesundheitswesens, könne Deutschland von seinem guten Ruf profitieren. Eine besonders gute Investition wäre die vermehrte Immatrikulation saudischer Studenten an deutschen Universitäten.
Ebenfalls für Geschäftschancen in den arabischen Ländern warb Dr. Faisal Yacob Alhamer, Gesundheitsminister des Königreichs Bahrain. Hervorragende Infrastruktur, eine weltoffenen Gesellschaft, qualifizierte Arbeitskräfte und keine Beschränkungen für Investoren sprächen für den Golfstaat. Ausländische Unternehmen können Eigentum zu 100 Prozent erwerben und ihre Gewinne ausführen. Deutsche Investoren seien für Gesundheitsprojekte begehrt.
Ein breites Spektrum medizinischer Fragen deckten die folgenden Sessions ab. Herz- und Gefäßkrankheiten, Stoffwechselerkrankungen, micro-invasive Chirurgie, Onkologie und insbesondere Kinderonkologie, Unfallchirurgie sowie Radiologie waren die Fachgebiete, in denen über den Stand der Forschung auf deutscher und arabischer Seite informiert wurde. Einige Beispiele seien erwähnt.
Den Fortschritt der Magenkrebsdiagnose belegte Prof. Dr. Nib Soehendra vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die Größe eines Karzinoms braucht nur noch kleiner als 0,5 cm zu sein, um entdeckt zu werden, während es vor fünfzig Jahren zwei bis drei cm groß sein musste. Über Therapieerfolge bei Geburtsfehlern des Plexus brachialis referierte anschaulich Dr. Emad Shahin vom Hamish Hospital Damaskus.
Das Schwerpunktthema Krebs- und Kinderkrebserkrankungen nahm breiten Raum ein, stellt diese Erkrankung doch häufig für arabische Patienten den Grund einer Behandlung in Deutschland dar. In Deutschland selbst erkranken, so Prof. Dr. Stefan Bielack, Leiter der Abteilung pädiatrische Onkologie am Kinderklinikum Olgahospital des Klinikums Stuttgart, jährlich 1.800 Kinder unter 15 Jahren an Krebs. Mit 34,3% nehme Leukämie den größten Anteil ein. In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sei in den Jahren 2003 bis 2006 in dieser Altergruppe Blutkrebs die meist verbreitete Krebsart, bezogen auf alle Altergruppen sei Brustkrebs in den GCC-Staaten insgesamt in den Jahren 1992 bis 2002 am weitesten verbreitet gewesen, referierte Dr. Jörgen Kristensen, Leiter der Krebsabteilung am Tawam Hospital in Al Ain, VAE. Über den jüngsten Stand der Stammzellentransplantation berichtete Prof. Dr. Dr. Axel Zander, Universitätsklinikum Eppendorf.
Zum Thema Unfallchirurgie wartete Dr. Roland Thietje, Direktor am Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg, mit der Statistik auf, dass arbeits- und verkehrsunfallsbedingte Wirbelsäulenschäden zwischen 1985 und 2005 erheblich zurückgegangen seien, während rein krankheitsbedingte Fälle sich im gleichen Zeitraum verdoppelt haben. Für die erfolgreiche gesundheitliche Wiederherstellung verletzter Patienten bedürfe es, wie Dr. Jean-Jacques Glaesener, Direktor des Zentrums für Rehabilitationsmedizin am Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus in Hamburg, darlegte, eines hohen Maßes an Spezialisierung, Organisation und persönlichem Einsatz. Dr. Enno Striepling von derselben Einrichtung widmete sich dem speziellen Thema der Brandverletzungen.
Aufgrund der weiter schreitenden technischen Entwicklung ist die Röntgendiagnose ein Thema mit Zukunft, dem sich eine ganze Session widmete. Durch „Molecular Imaging“, wie Prof. Dr. Claus-Christian Glüer vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ausführte, kann eine auf den Patienten zugeschnittene Therapie gefunden und die pharmazeutische Entwicklung sowie die interdisziplinäre Medizin weitergebracht werden.
Zu den Zukunftsthemen gehört ebenfalls e-Health, gewissermaßen die weltweite Vernetzung des Gesundheitswesens. Damit gemeint sind nicht nur die Telemedizin, also Diagnostik und Operationen, ausgeführt entfernt vom Aufenthaltsort des Patienten, sondern auch die Vernetzung von Patientendaten und die Datenspeicherung auf Patientenkarten. Hier werden schon beträchtliche Anstrengungen in den Golfstaaten unternommen, so dass sich gerade für deutsche Unternehmen gute Marktchancen bieten. Vertreter der Unternehmen IBM, MAQUET und Giesecke & Devrient boten hierin ebenso Einblick wie medizinische Referenten der Berliner Charité und des Klinikums Friedrichshafen.
Noch Neuland, aber sicherlich ein ebenfalls zukunftsträchtiges Geschäft eröffnet der Krankenversicherungsmarkt. Welches umfangreiche Dienstleistungsangebot, insbesondere in der Prävention, möglich ist, zeigte Dr. Claus Moldenhauer auf, stellvertretender Vorstandvorsitzender der DAK Deutsche Angestellten-Krankenkasse.
Bereits jetzt bietet der DAK-Geschäftspartner HanseMerkur private Krankenversicherungen in arabischen Ländern an, insbesondere für sog. Expatriates. Auslandsversicherungsschutz sei, so Dr. Andreas Gent, HanseMerkur-Vorstandsmitglied, preiswerter als die Bezahlung der Krankheitskosten im Ausland. Unternehmen, die Arbeitskräfte ins Ausland entsenden, beachteten dies zu wenig. Die traditionsreiche Hansemerkur (gegründet 1875) unterhält im Übrigen auch in Dubai eine Außenstelle.
Das Versicherungssystem in den VAE erläuterte Abdullah Al-Ahmedi vom Gesundheitsministerium Abu Dhabis. Das Krankenversicherungsgeschäft liege danach noch überwiegend in den Händen der Ministerien, die jeweils eigene Gesellschaften unterhalten und die Inhalte der Versicherungsangebote regulieren. . Private Versicherungsanbieter müssen vom Gesundheitsministerium zertifiziert werden.
Ein privater Krankenversicherer ist die Daman Health Insurance Company aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die hauptsächlich Privatpersonen versichert, aber, wie Ingo Pischetsrieder, Director Branches and Production, erklärte, die Deckung des Krankenversicherungsschutzes für ganze Unternehmensbelegschaften anstrebe. Gegenwärtiges Problem sei allerdings die noch zu geringe Größe und damit das hierfür noch nicht ausreichende Finanzvolumen privater Unternehmen.
Einen bedeutenden Teil der deutsch-arabischen Gesundheitswirtschaft nimmt der Gesundheitstourismus ein, der sich nach dem 11. September 2001 mehr den europäischen Ländern zugewandt habe, so Dr. Uwe Klein, Geschäftsführer der Münchener Health Care Strategy International GmbH. Neben Großbritannien und Frankreich nannte Dr. Bettina Bunge, Marketingdirektorin der Hamburg Tourismus GmbH, Deutschland als bevorzugte Destination. Sie rechnete die wirtschaftlichen Bedeutung der Kombination aus gleichzeitig medizinisch und touristisch begründeten Reisen vor: der arabische Gesundheitstourist, der häufig von Angehörigen begleitet werde, bleibe durchschnittlich zwanzig Tage und gebe etwa 130 Euro pro Tag aus. Neben klimatischen und kulturellen Reizen, so betonten beide Redner, seien Europa und Deutschland wegen ihres hoch entwickelten medizinischen Versorgungssystems attraktive Reiseziele. Allerdings, und darin stimmte ihnen auch der dritte Referent zu, Prof. Dr. Dr. med. Nicolas Abou Tara, Berater der Freien und Hansestadt Hamburg für die internationale Zusammenarbeit mit den arabischen Ländern, bestehe noch weiterer Perfektionierungsbedarf bei den Serviceleistungen. Zudem seien die Marketinganstrengungen zu erhöhen, da der Wettbewerb zwischen den Gesundheitsstandorten innerhalb Deutschlands und Europas durch neu entstehende Klinikzentren in den arabischen Ländern verstärkt werde.
Entscheidendes Zukunftsthema ist die medizinische Ausbildung, ebenfalls ein bedeutungsvolles Feld für die deutsch-arabische Zusammenarbeit in der Gesundheitswirtschaft. „To give almost priority to the development of education and ist Curricula in the Arab world“, zitierte Prof. Dr. Dr. h. c. Horst Dieter Becker, Universität Tübingen und Berater der Saudi-German Hospital Group, eine Erklärung des saudischen Königs Abdallah bin Abdulaziz Al Saud. Der Bildungsbedarf Saudi-Arabiens ist groß, denn 60% der Bevölkerung ist jünger als 18 Jahre. Hier gelte es den Anschluss nicht zu verpassen. Während die Zahl der Studenten aus dem Königreich in den USA und Großbritannien zwar hoch ist, aber dennoch abnimmt, hat sie in den asiatischen Ländern zwischen 2000 und 2007 um 200% zugenommen. Australien, Neuseeland, Kanada Singapur heißen die Wettbewerber. Deutschland sei international vergleichsweise schlecht aufgestellt, u. a. weil man sich zu sehr auf die Forschung konzentriert, Lehre als Last betrachte und nicht genügend englischsprachige Curricula anbiete, so Prof. Becker. Dabei müsse Bildung als Exportgut verstanden werden, denn auch auf diesem Gebiet denke die Welt global, und es gebe einen großen Bildungsbedarf, den die jungen Menschen lieber in ihren Heimatländern befriedigen möchten. Deutschland komme zu Gute, dass sein Bildungssystem einen guten Ruf in der Welt besitze, und Bildung dürfe nicht als Türöffner für deutsche Unternehmen verkannt werden. Über erfolgreiche Austauschprogramme in der medizinischen Ausbildung berichteten Dr. Mohammed Al-Azri, Koordinator des Famulaturprogramms der Sultan Kabus Universität in Oman und Frau Leonore Boscher vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Die abschließende Sitzung über die weiteren Aussichten für die deutsch-arabische Zusammenarbeit in der Gesundheitswirtschaft bestätigte den Aufwärtstrend, betonte aber auch den größer werdenden Wettbewerb, dem es sich zu stellen gelte. Gute Chancen bestehen z. B. im Krankenhausbau. Neben Sulaiman Al-Sayyari, General Manager der Saudi German Development & Investment Company Inc. (SAGECO) und Rechtsanwalt Dr. Florian Amereller war Heinz Werner Dieckmann beteiligt, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg und zuständig für die Außenhandelsförderung, der noch einmal die Internationalität der Hansestadt herausstellte.
Gesellschaftlicher Höhepunkt war die Einladung zum Galadinner durch die Freie und Hansestadt Hamburg in deren traditionsreiches Rathaus.
Erstmalig hatten die Teilnehmer eines Gesundheitsforums die Möglichkeit nach dessen Abschluss, Einrichtungen und Unternehmen der Branche zu besichtigen, so die Firmen Dräger Medical AG & Co. KG, OLYMPUS Winter & Ibe, PHILIPS Healthcare sowie das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin.