In einer lange erwarteten Entscheidung hat der ägyptische Verfassungsgerichtshof im Januar 2023 die Abschaffung der „Public Interest Litigation“ bestätigt. In der Vergangenheit konnte sich jeder Ägypter und jede Ägypterin gerichtlich gegen die Privatisierung von Staatsunternehmen oder die Zuteilung von öffentlichem Land an private Investoren wenden. Diese Popularklage zum Schutz von Staatseigentum hatte der Gesetzgeber mit einer kontroversen Gesetzesänderung aus dem Jahr 2014 abgeschafft. Hintergrund waren unter anderem die zahlreichen, nach der Revolution erhobenen Klagen – etwa gegen die Privatisierung des Traditionskaufhauses „Omar Effendi“ oder die Zuteilung von Land für die Entwicklung der Trabantenstadt „Madinati“.
Nach ägyptischem Recht kann klagen, wer durch eine Verwaltungsentscheidung in seinen Interessen berührt ist. Den Begriff des Interesses legten die ägyptischen Verwaltungsgerichte in der Vergangenheit sehr weit aus: auch die Mitarbeiter eines Unternehmens, das im Zuge einer Privatisierung an einen Investor veräußert wird, konnten vor das Verwaltungsgericht ziehen. Und ein jeder Bürger, eine jede Bürgerin hat das Recht, die gerichtliche Überprüfung einer Entscheidung zu verlangen, mit der Staatsland einem Grundstücksentwickler zugeteilt wird. Eine Flut von Klagen gegen Privatisierungen war die Regel, unterstützt von NGOs wie dem Egyptian Center for Economic and Social Rights, die durch Gerichtsverfahren die Privatisierungspolitik zu Fall bringen wollten, und befördert von einer Justiz, die Privatisierungen skeptisch gegenüberstand (und teilweise nostalgisch der Staatswirtschaft nachtrauerte). Richter ließen sich mitunter als „Privatisierungsbrecher“ feiern – mit der Folge, dass Transkationen Jahre später wieder rückabgewickelt werden müssten. Für den ägyptischen Staat nicht nur lästig, sondern auch kostspielig: denn viele der internationalen Investoren strengten Klagen vor dem Weltbankschiedsgericht ICSID an und argumentierten, sie würden enteignet. Und sie bekamen in vielen Fällen Recht.
Ein Gesetz aus dem Jahr 2014 schaffte deshalb die Popularklagebefugnis ab: einen staatlichen Vertrag darf nur gerichtlich anfechten, wer unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist. Eine allgemeine Klage im öffentlichen Interesse war fortan nicht mehr zulässig. Bürger sind nicht dazu berufen, die Vermögenswerte des Staates zu verteidigen. Für die ägyptische Regierung war das ein Schritt, die volatilen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach der Revolution von 2011 zu stabilisieren und das Vertrauen von Investoren in den ägyptischen Markt wiederherzustellen.
Ein Gesetz aus dem Jahr 2014 schaffte deshalb die Popularklagebefugnis ab: einen staatlichen Vertrag darf nur gerichtlich anfechten, wer unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist. Eine allgemeine Klage im öffentlichen Interesse war fortan nicht mehr zulässig. Bürger sind nicht dazu berufen, die Vermögenswerte des Staates zu verteidigen. Für die ägyptische Regierung war das ein Schritt, die volatilen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach der Revolution von 2011 zu stabilisieren und das Vertrauen von Investoren in den ägyptischen Markt wiederherzustellen.
Die Reaktion auf die Entscheidung war erwartungsgemäß gemischt: während diese in Wirtschaftskreisen mit Blick auf die anstehende neue Privatisierungswelle mit Erleichterung aufgenommen wurde, waren NGOs verständlicherweise verhalten. Aus juristischer Sicht ist die Entscheidung dabei ohne weiteres nachvollziehbar. Es entspricht durchaus dem internationalen Standard, die Klagebefugnis vor einem Verwaltungsgericht von einer eigenen „Rechtsbetroffenheit“ abhängig zu machen (und so eine Klage von Privatpersonen im öffentlichen Interesse auszuschließen). Gleichwohl lebt eine erfolgreiche Privatisierungspolitik von Transparenz und Kontrolle – und wie diese in Zukunft gewährleistet wird, bleibt abzuwarten. Auch Investoren haben ein Interesse an effektivem Rechtsschutz.
Von Dr. Kilian Bälz
Dr. Kilian Bälz, LL.M. (London) ist Rechtsanwalt und Partner bei Amereller Rechtsanwälte. Von Berlin und Kairo aus berät der deutsche und internationale Unternehmen bei Investitionen in der MENA-Region.