Kein EU-Land liefert mehr Güter nach Katar als Deutschland. Das Emirat war schon vorher ein Mega-Investor bei VW, Siemens und Hapag Lloyd. Jetzt flossen weitere Milliarden, um den deutschen Energiekonzern RWE fit zu machen für die globale Energiewende. Die nahende Fußball-WM ist nur eine Zwischenetappe in der stürmischen Entwicklung des ambitionierten Landes am Golf. Aus Deutschland wurden bereits 600 000 WM-Tickets geordert.
Bei der Unterschrift unter den Vertrag fand Mansoor al-Mahmoud große Worte: „Wir sind stolz, die Vision von RWE zu unterstützen, ein führendes Unternehmen auf dem globalen Markt für erneuerbare Energien zu werden.“ Mahmoud ist der CEO des katarischen Staatsfonds QIA. Soeben war besiegelt worden, dass das Essener Energie-Unternehmen 2,5 Milliarden Euro aus Katar erhält, um zu einem der größten Anbieter von Solarenergie in den USA zu werden. Katar hilft der deutschen Industrie, die gewaltigen Aufgabe der Transformation hin zu grüner Energie zu bewältigen.
Um die prekäre Energieversorgung Deutschlands zu sichern, war Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck bereits im März nach Katar geeilt. Bei einem Folgebesuch des katarischen Emirs Tamim in Deutschland unterzeichneten beide Seiten eine Absichtserklärung für eine enge Kooperation bei den Themen verflüssigtes Erdgas (LNG), Wasserstoff und Klimaschutz. Wohl gibt es noch unterschiedliche Vorstellungen über den Bezug von LNG. Die Bundesregierung bietet eine Laufzeit von zehn Jahren an, Katar strebt wegen der hohen Investitionskosten 15-20 Jahre an. Ungeachtet der Differenzen bestätigte auch der Besuch von Bundeskanzler Scholz Ende September, dass Deutschland Katar als höchst wichtigen Partner am Golf sieht.
Umgekehrt ebenso: Die Staatsführung von Katar sieht Deutschland als Schlüsselspieler in der Weltwirtschaft und blickt mit großem Optimismus auf den deutschen Markt. Doha erachtet die Bundesrepublik als einen strategisch wichtigen Partner und bedeutenden Markt. Die Zusammenarbeit soll in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden.
Bundeskanzlerin Merkel saß daneben, als der katarische Emir Sheikh Tamim Al-Thani bereits 2018 auf einer großen Investitionskonferenz in Berlin ankündigte, dass sein Land in den nächsten fünf Jahren 10 Milliarden in den deutschen Mittelstand investieren wolle. Letztes Jahr wurden davon, soweit bekannt, rund 900 Millionen Euro investiert, nun kam die Wandelanleihe für RWE dazu, was dazu führt, dass Katar am Ende mit neun Prozent an RWE beteiligt sein wird. Einige Milliarden aus Doha warten noch auf geeignete Anlageziele.
Der Staatsfonds „Qatar Investment Authority“ (QIA) peilt folgende Sektoren und Bereiche an: High-Tech, erneuerbare Energien und Speichertechnik. Auch andere Zukunftsindustrien sind dabei: Mobilität, Gesundheitswirtschaft, Governance, Fintech, Agritech und Umwelttechnologien.
Auch der deutsche Mittelstand profitiert
Neu ist, dass Katar auch in Start-ups investiert, durchaus auch in kleinere Ticket-Größen. So leitete QIA 2017 eine Investitionsrunde in Höhe von 85 Millionen in das Berliner Startup HelloFresh an. Das wertvollstes Start-up Deutschlands, das Münchner Unternehmen Celonis sammelte unter Führung der QIA eine Milliarde Euro ein. Das schnell wachsende Berliner Urban-Farming- Start-Up Infarm konnte in einer 200 Millionen US-Dollar Finanzierungsrunde die QIA als neuen Hauptinvestor vermelden.
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Industrieland Deutschland und der aufstrebenden, ehrgeizigen Golf-Monarchie sind traditionell sehr gut.
Bereits von 2000 bis 2017 konnten deutsche Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen vom katarischen Wirtschaftsaufschwung profitieren. Dazu gehörten Versicherungen (Allianz, etc.), Infrastruktur (Deutsche Bahn, DHL, SAP, etc.), Bauwesen (Hochtief, Herrenknecht, Dorsch, etc.), Sicherheitstechnik (Krauss-Maffei Wegmann, Thyssen Krupp, Lürssen Werft, Hensoldt, Siemens), Gesundheit (Siemens, Vivantes, etc.) und Energie (SolarWorld, Wintershall). Aktuell sind in Katar rund 80 deutsche Unternehmen vertreten.
Deutschland ist mit einem Anteil von rund sieben Prozent nach den USA (18,7 Prozent) und China (11,9 Prozent) der drittgrößte Güterlieferant für Katar – angeführt von Bauunternehmen und hier vor allem von Zulieferern für die Bauindustrie. Auch deutsche Maschinen und Ingenieursdienstleistungen sind weiterhin gefragt. In den letzten Jahren ist auch der Dienstleistungssektor in Katar gewachsen. Davon konnten deutsche Mittelständler wie die Agenturen fischerappelt und Jung von Matt SPORTS profitieren.
Dass die Bilanz nicht noch besser ausgefallen ist, liegt an unvorhergesehenen Ereignissen. Die Pandemie sorgte ebenso für Rückgänge wie die Ausgrenzung Katars durch einige Nachbarländer von 2017 bis 2021. Sie dürfte den Staatshaushalt des Emirates mit schätzungsweise 40 Milliarden US-Dollar belastet haben. Doch aus beiden Krisen ist Katar robust hervorgegangen.
Katars Wirtschaft geht es gut. Nach vorläufigen offiziellen Angaben stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2021 gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Prozent. Für das laufende Jahr 2022 prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Zuwachs um 3,4 Prozent. Ökonomen des Analyseinstituts „Economist Intelligence Unit“ (EIU) rechnen sogar mit einem Plus von 5,5 Prozent.
Katar als der weltweit zweitgrößte Exporteuer von Flüssiggas (LNG) wird auch weiterhin die meisten seiner Gewinne aus dem Gasgeschäft erwirtschaften. Das Land plant bis 2027 eine groß angelegte Expansion des Gasfeldes „North Field“. Der Gesamtwert des Vorhabens beträgt 43 Milliarden US-Dollar. Katar wird, nachdem Deutschland und die EU beschlossen haben, sich von Russland als Energielieferanten zu lösen, von diesem Strategiewechsel profitieren.
Schon jetzt ist Katar der größte Investor aus der Golfregion in Deutschland. Über seinen Staatsfonds QIA hat Doha bereits knapp 30 Milliarden Euro in die deutsche Wirtschaft investiert. Darunter in große deutsche Bluechips, insbesondere im Finanz-, und Mobilitätssektor: Beispiele sind Siemens (4%), Hapag-Lloyd (14,4 %), Volkswagen (17%) und die Deutschen Bank (6%).
Künftig wollen die Katarer auch im Bereich von Bildung und Kultur eng zusammenarbeiten. Erst kürzlich erhielt die „European School of Management and Technology“ (ESMT) in Berlin eine Spende von der QIA in Millionenhöhe. Gemeinsam soll der Manager-Nachwuchs weiter entwickelt und gefördert werden.
Es gibt in der Tat große strategische Schnittmengen zwischen beiden Ländern. Insgesamt sind die Aussichten, sowohl politisch als auch wirtschaftlich, positiv zu bewerten. Und so ist zu erwarten, dass die Kooperation in den kommenden Jahren weiter stark ausgebaut wird. Dies wird von beiden Seiten politisch explizit gewünscht und gefördert.
Zur FIFA-Fußballweltmeisterschaft (20. November bis 18. Dezember) werden in Katar knapp 1,5 Millionen Besucher erwartet. In Deutschland scheint die Vorfreude besonders groß zu sein: Bisher wurden aus Deutschland rund 600 000 Karten für das Turnier geordert.
Katar hat schätzungsweise bis zu 200 Milliarden US-Dollar investiert, um das Land auf das größte Sportturnier der Welt vorzubereiten – eine immense Herausforderung für das Land, das erst nach 1995 seine moderne Ausrichtung begonnen hatte. Das höchst ambitionierte Mega-Event hat sehr dazu beigetragen, dass die Ziele, die schon 2008 in der „Qatar National Vision 2030“ formuliert worden waren, weit früher erreicht werden als geplant. Zur „National Vision 2030“ gehört das Ziel, höhere Standards in der Umwelt, im gesellschaftlichen und im sozialen Bereich zu etablieren. So hat Katar – auch vor dem Hintergrund internationaler Beobachtung – beispielsweise seine Sozial- und Arbeitsrechte enorm entwickelt und gilt heute als positives Beispiel für Reformen. Die Standards im Arbeitsmarkt sind die besten am Golf.
Katar wird auch nach der WM weiter in seine Volkswirtschaft investieren. Für das Jahr 2022 rechnen Experten mit einem Zuwachs an Investitionen von vier Prozent auf 73,5 Milliarden US-Dollar. Vor allem die geplante Erhöhung der Gas- und Ölförderung sowie der Ausbau der Downstream-Industrien erfordern in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen. Deutsche Unternehmen sind in Katar ausdrücklich eingeladen, diese Entwicklung gemeinsam zu betreiben.
Darüber hinaus soll eine aktive Venture Capital Szene dabei helfen, neue Start-ups im Land anzusiedeln. Lockmittel gibt es reichlich. So sind zwei Areale entstanden, in denen ausländische Betriebe über 20 Jahre keine Steuern zahlen müssen. Auch werden große katarische Familienunternehmen angehalten, über Company-Building Programme neue innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die aus Doha als Logistik-, Finanz und Tourismus-Hub in die Welt gebracht werden sollen.
Katar wird selbst nach den kühnsten Erwartungen einiger Katarer wohl kaum Fußball-Weltmeister werden. In anderen Sektoren will das Land jedoch weiter an die Weltspitze herankommen. Das ist mit Qatar Airways bereits gelungen: Die staatliche Airline ist schon mehrfach als die beste Airline der Welt ausgezeichnet worden.
von Dr. Jeremias Kettner: Er ist Außenpolitikexperte und Wirtschaftsberater. Der Politikwissenschaftler schuf mit seinem Buch „Deutsche Außenpolitik gegenüber Katar von 1999 – 2014“ das Standardwerk über die Beziehungen beider Ländern. Ein Buch über „Leadership und Public Diplomacy in Katar“ erscheint demnächst bei Palgrave Macmillan. Von 2018 bis 2022 war Kettner stellvertretender Direktor des Arabischen Kulturhauses in Berlin. Sein Unternehmen Kettner Advisory hat sich auf politische Risikoanalyse, Stakeholderdialoge und Investitionsförderung spezialisiert.