Erfolgreiche Start-Up-Unternehmen aus arabischen Ländern ziehen Investitionen in Milliardenhöhe an. Arabische Software-Entwickler beleben durch intelligente Software, die auch global einsetzbar ist, zunehmend die Szene der Gründer und Entwickler. Auch deutsche Unternehmen profitieren.
So ein Deal wie der in Tunesien wird allgemein als ein “Mega-Exit“ bezeichnet – als ein viele hundert Millionen schwerer, spektakulärer Verkauf eines kleinen Start-Up-Unternehmens an einen großen Investor. Dazu kommt es in aller Regel, wenn ein Investor die enormen Möglichkeiten einer IT-Geschäftsidee und Software eines kleinen Start-Ups erkennt und wagt, für dessen Erwerb sehr tief in die Tasche zu greifen.
Für diesen „Mega-Exit“ griff der deutsche Impfstoffhersteller BionTech sehr tief in die Tasche. Im Januar gab das tunesischen Start Up InstaDeep aus der Kleinstadt Tatouine am Rande der Wüste bekannt, dass das InstaDeep von BionTech gekauft wurde. Kaufpreis für das erst 2014 gegründete tunesische Start-Up: 697 Millionen US-Dollar. BionTech aus Mainz leistet eine Vorauszahlung von rund 449 Millionen US-Dollar in bar und in Aktien, die restlichen 248 Millionen werden in Abhängigkeit von der künftigen Leistung von InstaDeep ausgezahlt.
BionTech ist selbst ein innovatives Pionier-Unternehmen: Es entwickelte einen rasch einsetzbaren Corona-Impfstoff und setzt damit mittlerweile Milliarden um. Schon 2022 hatte sich BionTech an einer 100-Millionen schweren Finanzierungsrunde für InstaDeep beteiligt. Das viele Geld scheint gut angelegt. Der rasche Zugriff auf den arabischen Newcomer erspart nicht nur eigene Entwicklungskosten, sondern verschafft im schnelllebigen, globalen Markt der Pandemie-Bekämpfung die Chance auf einen zügigen Einsatz – und damit den entsprechenden Umsatz.
Das kleine Team von InstaDeep agiert seit einigen Jahren sehr erfolgreich bei der Entwicklung und Bereitstellung einer künstlichen Intelligenz (KI). Die Tunesier haben gemeinsam mit BionTech ein Verfahren entwickelt, um neue Varianten des gefährlichen Corona-Virus frühzeitig zu entdecken. Dank der höchst intelligenten Methoden und Rechner von InstaDeep hat man sehr früh herausgefunden, dass es sich bei Omikron um eine heikle Variante des pandemischen Corona-Virus handelt. Die Einstufung als eine „höchst riskante Variante“ erfolgte am selben Tag, an dem die Gensequenz des Virus vorlag. Deswegen konnte der Impfstoff-Hersteller sehr schnell reagieren und produzieren.
Auch künftig soll die findige tunesische Software-Schmiede aus Tatouine dabei helfen, neue Immuntherapien zu entwickeln. So sollen in einem KI-Labor zum Beispiel komplizierte Vorgänge wie das Protein-Design vorangebracht werden.
InstaDeep kann aber noch mehr: Zum Beispiel Betriebsabläufe in komplizierten Strukturen voranbringen. Am liebsten in sehr komplizierten Strukturen. Hier kommt die Deutsche Bahn ins Spiel, die bei ihren Betriebsabläufen gelegentlich zu Schwächen neigt. Auch die DB hat in InstaDeep investiert. Das Ziel der Kooperation: Die Züge in Deutschland sollen pünktlicher werden.
Tunesische Tüftler machen die Deutsche Bahn pünktlich
Das Streckennetz der deutschen Bahn ist außerordentlich komplex – und stellenweise marode. Weil der Ausbau des Streckennetzes trotz der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen „neuen deutschen Geschwindigkeit“ sehr lange brauchen und auch sehr teuer kommen wird, muss das bestehende, verzweigte Schienennetz in seiner Nutzung effektiver gemacht werden. Die künstliche Intelligenz aus Tunesien soll den deutschen Fahrplanmanagern helfen, rasch die optimale Variante zu finden, wenn es wieder mal zu Verspätungen oder Blockaden von Streckenteilen gekommen ist. Die deutschen Bahnkunden wären begeistert, wenn die Entwicklungshilfe aus Tunesien funktioniert.
Karim Beguir, Gründer von InstaDeep, ist selbst von der Größe der Aufgabe beeindruckt: „Ein KI-Fahrplan-System für ein Streckennetz dieser Größenordnung hat es noch nie gegeben“, sagt Beguir, der in Frankreich und in den USA studiert hat. Aber er strahlt Zuversicht aus. Wenn sein KI-System erst einmal erlernt habe, wie das System der Bahn funktioniere, könnten die Züge „binnen Minuten sehr viel effizienter umgeleitet werden“.
Der Mega-Exit von InstaDeep ist die größte Übernahme im afrikanischen Start-Up-Ökosystem und wahrscheinlich die zweitgrößte in der arabischen Welt. 2019 bereits schnappte sich der US-Fahrdienstvermittler Uber den in Dubai ansässigen Konkurrenten Careem. Für sagenhafte 3,1 Milliarden US-Dollar. Careem ist in 98 Städten aktiv. Der Dienst wird in der Region überdurchschnittlich oft von Frauen genutzt. In Saudi-Arabien, einem wichtigen Markt für Careem, dürfen Frauen erst seit Kurzem selbst hinter dem Steuer sitzen.
Careem bleibt auch nach der Übernahme durch Uber unter der bewährten Leitung seiner Gründer aus Dubai. Die beiden Systeme sollen einstweilen auch unabhängig voneinander operieren. Geplant ist freilich eine engere Zusammenarbeit. Durch die Integration der beiden Netzwerke sollen die Wartezeiten für die Kunden noch kürzer werden. Das Innovationstempo in der Region soll sich beschleunigen. Zu den Investoren bei Careem gehören auch der chinesische Fahrdienstleister Didi Chuxing, die saudische Kingdom Holding und auch der deutsche Daimler-Konzern.
Die Start-Up-Szene in der MENA-Region ist außerordentlich lebendig. Immer häufiger kommt es zu erfolgreichen Exits- und Übernahmen. Im Jahr 2022 haben insgesamt 57 Start-Ups aus der MENA-Region durch Fusionen und Übernahmen einen Exit erfolgreich vollzogen, was einem Anstieg von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Weitere elf MENA-Start-Ups kündigten Übernahmen von internationalen Start-Ups an, gegenüber acht im Jahr 2021.
Die VAE verzeichneten mit 23 übernommenen einheimischen Start-Ups die meisten Exits, gefolgt von Ägypten, wo 14 Start-Ups übernommen wurden. In Saudi-Arabien verließen acht Start-Ups das Land. Auch kleinere IT-Märkte verzeichneten einen Anstieg der M&A-Aktivitäten, darunter Irak, Kuwait, Jordanien und Katar.
Die erfolgreichen IT-Gründer tummelten sich hauptsächlich in den Sektoren E-Commerce, einschließlich B2B-E-Commerce-Plattformen, Bezahlsysteme (Fintech) und auch im Bereich Ernährung und Versorgung (Foodtech).
Die Vitalität des IT-Marktes spiegelt wider, dass die Einwohner sehr intensiv und unbefangen Internet-Dienste nutzen. Die Schwelle zum Umstieg auf das Internet bei der Erledigung täglicher Erledigungen ist geringer als etwa in Deutschland. Deshalb sehen Beobachter in diesem Marktsegment auch noch ein erhebliches Wachstumspotenzial.
Ein schnelleres Wachstum wäre möglich, vor allem in den nordafrikanischen Ländern. Allerdings gibt es Hemmnisse: In einigen Ländern gibt es nur unzureichende rechtliche und technische Rahmenbedingungen, die für den internationalen und auch überregionalen Betrieb und auch den Zahlungsverkehr in Devisen unbedingt nötig sind.
Um den IT-Markt und die Start-Up-Szene zu kräftigen, hat die Europäische Entwicklungsbank (EIB) unlängst 27 Millionen in den 150 Millionen Euro schweren Middle Eastern Venture Fund IV (MEVF IV) gesteckt. Mit dem frischen Geld sollen junge arabische Firmen mit Wachtumspotenzial in den Bereichen E-Commerce, Gesundheit, und Bildungstechnologie (ed-Tech) unterstützt werden. Firmen in der MENA-Region können mit Unterstützung des Fonds zwölf Jahre lang ihre Unternehmungen entwickeln und aufbauen. Der Fonds erwartet sich davon die Schaffung von mehr als 8000 werthaltigen und zukunftsweisenden Arbeitsplätzen.