Der Sympathieträger Sport mobilisiert weltweit Millionen – sowohl Menschen als auch Vermögen. Mit großem Einsatz und mit viel Leidenschaft haben sich arabische Unternehmen und Nationen Spitzenplätze in der Skala der weltweiten Aufmerksamkeit besorgt. Das aufwändige Marketing sorgt für Erfolg und Spannung – aber auch für Neid und Missgunst.
Von Jürgen Hogrefe
Wenn „Mo Salah“ nach einem Spiel seines FC Liverpool vor die Kameras und Mikrofone tritt, schauen nicht nur die Briten zu. Auch in seinem Heimatland Ägypten wollen Millionen Menschen ihren Landsmann live erleben, der es in dieser Saison mit bislang 22 Toren zu einem Top-Torjäger in der legendären Premier-League gebracht hat. Sein aktueller Marktwert: rund 100 Millionen Euro. In Ägypten sind die Trikots mit seinem Namen heiß begehrte und sehr teure Fan-Artikel. Sie bescheren dem Verein Millioneneinnahmen. Mittlerweile ist Mohammed Salah in der gesamten arabischen Welt ein Star. Und weit darüber hinaus.
Bei Spitzenspielen von Manchester City gegen seinen Club Liverpool schauen weltweit rund 1,35 Milliarden Menschen zu. Bei Interviews erscheinen dann im Hintergrund von „Mo Salah“ die Logos von 34 Firmen, die als Sponsoren von Manchester City dafür viele Millionen an den Club zahlen. Die Sponsoren wissen: Es gibt einen Transfer des positiven Images, das der Fußball mit sich bringt, auf ihre Firmen und Produkte. Trotz der teils aberwitzigen Summen, die für ein Sponsoring gezahlt werden, gilt der Fußball immer noch als einer der besten und günstigsten Träger für weltweite Werbebotschaften.
Manchester City, genannt die „CityZens“ hatte als Firma zuletzt einen Jahresumsatz von 683 Millionen Euro, der Marktwert wird auf mehr als vier Milliarden Euro geschätzt. 86,21 Prozent des Vereins gehören der „Abu Dhabi United Group Investment & Development Limited“; größter Sponsor ist die emiratische Fluglinie „Etihad“.
In Abu Dhabi ist man höchst zufrieden mit dem finanziellen Engagement bei den „CityZens“. Er englische Kicker-Klub beschert der Marke „Etihad“ weltweit größtmögliche Bekanntheit. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Die positive Wahrnehmung des Fußballs strahlt auf die Fluglinie und auf das ganze Land ab.
Konzept „State Branding“
In London hat sich die Konkurrenzlinie „Emirates“ aus Dubai die Namensrechte am altehrwürdigen Stadion von Arsenal London, gesichert. „The Grove“ heißt seit 2006 „Emirates Stadium“. Das Sponsoring hat sich die Fluglinie seinerzeit 100 Millionen Pfund kosten lassen. Der Vertrag wurde bis 2028 verlängert. Geschätzter Wert der „Arsenal Holdings Ltd“: Rund 2,8 Milliarden US-Dollar. Wegen des messbaren PR-Erfolges seiner Investition hat die Fluglinie gleich auch noch die Namensrechte am traditionellen Pokalwettbewerb des englischen Fußballverbandes gekauft, der nun „Emirates FA Cup England“ heißt.
Der Werbewert ist nicht das Einzige, das die Staaten vom arabischen Golf auch für ihre Verhältnisse erstaunlich spendabel werden lässt. Die Spendierfreudigkeit ist auch nicht nur auf die Leidenschaft der Mächtigen und Reichen für den Fußballsport zurückzuführen. Das magische Wort, das die Millionen-Investments mobilisiert, heißt „State-Branding“ – den Staat als eigene Marke etablieren. Über den Fußball sollen die Menschen rund um den Globus darauf aufmerksam gemacht werden, dass dort am arabischen Golf interessante Länder und Staaten von Bedeutung existieren.
In der Sprache der Werbebranche geht es um „Visibility“ – darum also, etwas überhaupt wahrzunehmen. Die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten, im globalen Diskurs eine Rolle spielen. „Sichtbarkeit, Sichtbarkeit, Sichtbarkeit“ seien die drei Hauptmotive für die finanziellen Engagements der Länder am arabischen Golf im globalen Sport, sagt Danyel Reiche, der ein Buch über den Zusammenhang zwischen dem Marketing von Staaten und dem Sport geschrieben hat. Reiche ist Professor an der Filiale der Georgetown University In Doha.
Das Motiv ist nachvollziehbar. Die Staaten am arabischen Golf sind sehr jung, sie sind allesamt als eigenständige Nationalstaaten modernen Zuschnitts erst mit dem Niedergang des Kolonialismus entstanden. Die Vereinigten Arabischen Emirate etwa und das Königreich Bahrain wurden erst 1971 unabhängig. Würden sie nicht auf sich aufmerksam machen, wüssten viele Menschen sie womöglich kaum auf Anhieb auf der Landkarte zu finden.
Marken und Macht
Die Koppelung mit erfolgreichem Sport transferiert die positiven Merkmale des Sports gleichsam auf die Eigenschaften dieser Länder: Modern, aktiv, beliebt, erfolgreich sind einige der Image-Attribute, die im Gefolge des Spitzensports einher gehen. So werden diese Länder interessant für internationale Investoren. Firmen lassen sich nieder, um gemeinsam mit den ehrgeizigen jungen Regierungen Produkte und Märkte zu entwickeln. Menschen, die nie von allein auf die Idee gekommen wären, lassen sich als Unternehmer, Experten, Wissenschaftler, Techniker und Start Ups nieder, weil sie hier Möglichkeiten wir sonst kaum auf der Welt finden. Logistik-Unternehmen haben erkannt, dass sie hier an einem Drehkreuz agieren – in der Mitte der Welt zwischen den Supermärkten USA und China. Freizonen mit erheblichen Vorteilen für mutige und zukunftsorientierte Firmengründer schießen aus dem Boden. So entstehen Märkte. So entsteht Marktmacht.
Kein Wunder, dass mit den Fluglinien Etihad, Emirates und Qatar Airways hier drei der bedeutendsten Fluglinien der Welt entstanden sind. Auch die Staats-Airlines sind Teil des „State-Branding“ – der gezielten Entwicklung der Markenkerne der Nationen. Einige dieser Länder haben sich als Finanz- und Bankenzentren etabliert, andere legen den Schwerpunkt auf Immobilien oder Tourismus. Jüngst sind Informations- und Kommunikationstechnologien dazu gekommen und – spät aber um so wuchtiger – das Feld der erneuerbaren Energien.
Man darf nicht vergessen, dass die Länder am Golf als unfreiwillige „Late Comer“ der Moderne immer noch „Nations in the Making“ sind. Die Staatsgründer suchten und suchen immer noch nach einer Rolle für ihre Länder und nach einer Identität ihrer Nation. Ausgestattet mit großem Ehrgeiz und großen Staatsbudgets arbeiten sie daran, das große historische Erbe der Golf-Araber hinüberzutragen in die Moderne. Das kommt gelegentlich einem gewagten Manöver gleich, wenn die tief im Islam wurzelnde Kultur der Menschen vor Ort auf die nüchterne, von Technologie und Kapitalinteresse getriebene Welt des Westens trifft. Nicht alles gelingt und nicht alles wird von einer konservativen Mehrheit im Lande mitgetragen. Doch der Sport vereint alle. Sport weckt Emotionen und Sympathie. Sport ist aufregend – über Kulturen, Altersunterschiede, Bildungsmilieus und Einkommensstufen hinweg.
Pionier Katar
Ganz früh hat das Emirat Katar den Sport als eine der Möglichkeiten erkannt, eine Rolle im internationalen Gefüge zu spielen. Als der damalige Emir Sheikh Hamad Bin Khalifa Al-Thani das Land 1995 zu modernisieren begann, setzte er für die Entwicklung gezielt Schwerpunkte, die für die Entwicklung des eigenen Landes wie auch für die künftige Rolle Katars in der Welt bestimmend sein sollten. Der Emir und seine Frau Moza, eine ausgebildete Soziologin, wollten Katar zu einem wissensbasierten Land mit einer gebildeten heranwachsenden Führung machen. Folglich wurden sechs renommierte amerikanische Universitäten eingeladen, Niederlassungen in einer „Education City“ zu gründen. Der Fernsehsender Al-Jazeera sollte der arabischen Welt ihre eigene Stimme geben und so zum Beispiel die Dominanz von CNN über den Irak-Konflikt brechen. Katar sollte zudem ein Land der internationalen Konferenzen und Begegnungsstätte für die globalisierte Welt werden. Das staatliche Unternehmen Qatar Airways sollte die Menschen mit zuvor nicht gesehener Qualität des Lufttransports um die Welt bewegen – und ins eigene Land bringen. Und der Sport und Veranstaltungen rund um den Sport sollten zu einem Markenzeichen für Katar werden.
Dabei setzte Sheikh Hamad schon auf einer soliden Tradition auf. Seit 1963 gibt es in Katar eine ordentlich funktionierende Fußball-Liga. Die „Qatar Stars League“ gehört mittlerweile zu den besten in der Region – nicht zuletzt, weil immer wieder Stars aus den europäischen Ligen Verträge in Katar bekamen. Dazu gehören die Spanier Pep Guardiola, Raúl und Xavi, wie auch die Deutschen Mario Basler und Stefan Effenberg. 2019 gewann die Nationalmannschaft von Katar die Asien-Meisterschaften – im Endspiel gegen Japan. Spätestens da wurde auch westlichen Beobachtern klar, dass in Katar sehr ernsthaft und erfolgreich Fußball gespielt wird. Katar ging zur Ausbildung seiner Spieler eine Kooperation mit einem belgischen Regionalligisten ein und gründete eine Frauen-Nationalmannschaft.
Asienmeister Katar
Im Jahr 2011 war Katar erstmals Gastgeber der Asien-Meisterschaften. Das groß angelegte Turnier war gleichsam die interne Prüfung, ob das Land in der Lage sein könnte, ein noch weit größeres Turnier auszurichten. Die Generalprobe gelang. Ein Jahr zuvor hatte Katar auf der Generalversammlung der FIFA den Zuschlag für die Ausrichtung der Fußball-WM 2022 bekommen.
Sheikh Hamad und seine Kataris empfanden das als Triumph: Erstmals würde Katar eine der großen Veranstaltungen des Weltsports im eigenen Lande haben. Erstmals eine Fußball-WM in einem arabischen Land, in einem muslimischen Land, in einem ariden Land – weshalb Bestandteil der Bewerbung war, dass es die ersten klimafreundlichen Fußballweltmeisterschaften mit geringem CO2-Ausstoß würden. Die erfolgreiche Bewerbung hatte seinerzeit das Frankfurter Architekturbüro Albert Speer&Partner geschrieben, das schon damals als weltweit führend für zukunftsweisende, nachhaltige Stadtplanung galt.
Doch der Zuschlag für die FIFA WM 2022 machte erkennbar nicht nur Freude. Er mobilisierte auch Neid, Missgunst und alle möglichen Ressentiments gegen „die Araber“ und ihre Kultur. Abenteuerliche und unbewiesene Zahlen von Toten auf den Baustellen der WM-Stadien machten die Runde. „Qatar-Bashing“ wurde zum beliebten Beiprogramm einer medialen Aufregungsindustrie, die gelegentlich ein geringes Interesse an Aufklärung und haltbaren Fakten zeigt, aber viel Interesse an finanziellen Umsätzen durch Skandalisierung hat.
Letztlich erfolglos. Zuletzt attestierten sogar Menschenrechtsorganisationen, dass Katar bei der Lage der ausländischen Arbeiter und in anderen Bereichen erhebliche Fortschritte gemacht hat. Arbeitsorganisationen wie die ILO der Vereinten Nationen bescheinigen Katar, vergleichsweise vorbildlich zu agieren.
Die Erhöhung von Standards im Land lag dabei genau in der Entwicklungsrichtung der Kataris, als sie sich für die 2009 für die WM bewarben. Sie wussten sehr genau, dass die Veranstaltung eines der größten Weltsportfeste im eigenen Land einen erheblichen Modernisierungsschub mit sich bringen müsste. Das würde sich nicht nur auf den Bau von Stadien, Infrastruktur und Hotels beziehen, sondern auch auf die Öffnung der einheimischen, ehr konservativ geprägten Gesellschaft in Richtung eines Zusammenlebens, wie es in einer globalisierten Welt künftig üblich sein würde. Die Kataris wussten, was sie taten. Erstaunt waren sie lediglich über die Hemmungslosigkeit einer selbstgerechten Berichterstattung, die bei ihrer Beurteilung unterließ, historische Entwicklungen zu berücksichtigen und die oftmals auf jede Form kultureller Kontextualisierung verzichtete.
„Für Katar ist die WM schon jetzt ein Erfolg“, sagt der Politologe Danyel Reiche, der auch Vertrauensdozent der Heinrich-Böll-Stiftung ist. Die Erwartungen in Bezug auf internationale Vernetzung und die Wahrnehmung seinen für Katar „von unschätzbarem Wert“. Die Berichte westlicher Medien kämen ihm „oft undifferenziert vor“. Katar hätte bereits Hunderte von internationalen Sportveranstaltungen ausgerichtet.
Wohl wahr. Bereits 1993 gewann Boris Becker das ATP-Turnier in Doha. 2001 gewann Martina Hingis die Qatar Ladies Open – mit einem Preisgeld von 2 517 250 US Dollar. Katar hat 2015 die Handball-Weltmeisterschaft ausgetragen und wurde nur im Finale von Frankreich geschlagen. Seit 2008 findet in Doha die Motorrad-WM statt, 2008 gab es dort das erste Nachtrennen der WM-Geschichte.
Seit vielen Jahren trainiert der FC Bayern in der „Aspire Zone“ von Doha, das als eines der vorbildlichsten Sportzentren der Welt gilt. Auch Schalke 04 war hier oft zu Gast. Der FC Bayern trägt auch das Logo von Qatar Airways auf seinem Trikot. In der Bundesliga wie in der Champions-League ist Qatar Airways auf den Trikots des deutschen Serienmeisters sehr prominent sichtbar. Das hat bei manchen zu Aufregung geführt.
Andere sehen das arabische Engagement positiver. Das gilt ganz besonders in England. So wird dort gelobt, dass die Sponsoren-Gelder aus arabischen Ländern das Niveau der Spiele erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit von Vereinen verbessern.
Unlängst hat das Königreich Saudi-Arabien über seinen Public Investment Fonds (PIF) 80 Prozent des Fußballvereins Newcastle United (NUFC) gekauft und dafür 360 Millionen Euro gezahlt. Die saudische Regierung, die mit Antritt der Regierung unter Kronprinz Mohammed Bin Salman die großen Chancen eines „State Branding“ erkannt hat, will jetzt rasch aufholen. Zudem erwartet man sich durch die Investition in der Stadt bessere Möglichkeiten zur Entwicklung der maritimen Logistik und Hafen-Infrastruktur.
Formel 1 in Dschidda
Mit der spanischen Fußball-Liga wurde eine Vereinbarung getroffen, den spanischen Super-Cup demnächst für drei Jahre in Saudi-Arabien stattfinden zulassen. Die Entscheider in Riad haben dafür rund 120 Millionen Euro gezahlt.
Auch in andere Sportarten hat Riad mittlerweile investiert: So fand im November 2021 in Dschidda das erste Formel 1-Rennen statt. Saudi Aramco hat sich in diesem Februar bei dem britischen Formel 1-Rennstall Aston Martin eingekauft. Seit 2020 findet die Rallye Dakar, die bedeutendste Langstrecken-und Wüstenrallye der Welt, in Saudi-Arabien statt. Das kann wegen der angespannten Sicherheitslage in Zentralafrika nicht mehr auf der ursprünglichen Strecke stattfinden.
Saudi-Arabien will demnächst auch durch internationale Golf- und Tennisturniere auf sich aufmerksam machen. Sogar eine Wrestling-Veranstaltung ist geplant.
Ein ganz neues Feld im Sport-Investment sind die E-Sports, also professionell organisierte Turniere von so genannten Video-Spielen. Der saudische PIF erwarb zu Anfang dieses Jahres das E-Sports-Unternehmen ESL Gaming für 875 Millionen Dollar. „Gaming“ ist in Saudi-Arabien mittlerweile Volkssport, wie in vielen anderen arabischen Ländern auch. Die jungen Gesellschaften sind oft weit aktiver auf den Konsolen und im Netz mit Spielen unterwegs als die Menschen in unseren Ländern.
2018 bereits wurde der saudische „Gamer Msdossary“ Weltmeister des virtuellen Fußballspiels FIFA“. Er ist seitdem ein Superstar der Szene. Weit über Saudi-Arabien hinaus.
Sport wirkt. Und es wirkt offenbar positiver, als manche glauben. Bei seinem Besuch in Deutschland Ende Mai gab der katarische Minister für Handel und Industrie Erfreuliches für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und Katar bekannt.
Der Verkauf der Tickets für die WM im November und Dezember habe ergeben, dass 600 000 Eintrittskarten nach Deutschland verkauft worden sind. Der Minister entbot ein „Herzliches Willkommen in Katar“.