Der Eisenbahnsektor in Marokko erlebt eine dynamische Entwicklung mit beachtlichen Investitionen und Projekten zur Modernisierung und Erweiterung des nationalen Bahnnetzes. Ein Tunnel an der Meerenge von Gibraltar soll Europa mit Afrika direkt verbinden. Das epochale Projekt soll Marokko seinem Ziel näherbringen, zum Transport-Drehkreuz Afrikas zu werden.
Für die 350 km lange Strecke zwischen Rabat und Tanger braucht der marokkanische Hochgeschwindigkeitszug „Al Boraq“ nur gut zwei Stunden – und erreicht dabei schon mal die Spitzgeschwindigkeit von gut 320 kmh. Nach der Überlieferung ist „Al Boraq“ das Fabelwesen, das den Propheten Mohammed in einer Nacht von der Erde zum Himmel und zurück trug.„Al Boraq“ ist der schnellste Zug Afrikas.
Die Tickets werden online bestellt, der „Boraq“ ist meist pünktlich. Das Bordrestaurant wird gut frequentiert, die Bahnstationen sind Terminals von Weltstandard. Jährlich transportiert der „Boraq“ rund sechs Millionen Passagiere.
Bereits im Jahr 2017 hat die marokkanische Regierung den „2040 Morocco Rail Plan“ beschlossen, eine langfristige Strategie zur Förderung des Eisenbahnsektors im Land. Der Plan nimmt nun weiter an Fahrt auf.
Ausbauprojekte für das Hochgeschwindigkeitsnetz sind angestrebt, um Verkehrsknotenpunkte mit Geschwindigkeiten zwischen 220 und 320 km/h zu verbinden. Ein zentrales Projekt ist die Verlängerung der 360 km langen Hochgeschwindigkeitsstrecke Tanger-Casablanca. Die Strecke wurde im Jahr 2018 eingeweiht und wird derzeit im Rahmen von zwei Projekten erweitert. Im ersten Projekt wird die Strecke zwischen Tanger und Casablanca, die bisher 353 km lang war, um eine 225 km lange Verbindung nach Marrakesch erweitert. Anschließend ist geplant, die Strecke um weitere 239 km bis nach Agadir zu verlängern.
Nach jüngsten Informationen wird die nationale Eisenbahnbehörde (Office National des Chemins de Fer – ONCF) in Kürze mit den Studien für die allgemeine Infrastruktur, die Terminaleinrichtungen und die Wartungspolitik dieser zweiten Strecke beginnen. Die Erstellung des groben Vorentwurfs, der Ausschreibungsunterlagen für die Infrastruktur und die Eisenbahnausrüstungen sowie die Studien zu den Schnittstellen des bestehenden Netzes mit der neuen Strecke und zum gesamten Eisenbahnbetrieb sollen innerhalb von 16 Monaten abgeschlossen sein. Die Verlängerung bis zu den Städten Marrakesch und Agadir erfordert eine geschätzte Investition von etwa 10 Milliarden US-Dollar.
Doch der Bahn-Sektor insgesamt erfährt ein deutliches lift-up. Das bestehende Netz soll verbessert, insgesamt soll die Widerstandsfähigkeit des Schienennetzes durch Instandhaltungs- und Verbesserungsprojekte erhöht und die Qualität der Dienstleistungen weiter verbessert werden. Für die konventionellen Eisenbahnlinien sind Ausbauprojekte mit einer Geschwindigkeit von 160 kmh zu Städten in ganz Marokko geplant, die derzeit noch nicht an das Eisenbahnnetz angeschlossen sind.
Für die Umsetzung des langfristigen Masterplans sind beachtliche Investitionen in Höhe von 37 Milliarden US-Dollar geplant. Das neue Eisenbahnnetz soll die derzeitige Verbindung von 23 marokkanischen Städten auf 43 erweitern. Dadurch werden 87 Prozent der marokkanischen Bevölkerung Zugang zum Schienenverkehr haben, was einer Steigerung von 36 Prozent entspricht. Das geplante Netz umfasst insgesamt 3.800 km Mittelgeschwindigkeitsstrecken und über 1.300 km Hochgeschwindigkeitsstrecken, die von Tanger nach Agadir und von Oujda nach Rabat verlaufen.
Die umfangreichen Investitionen und Projekte im Eisenbahnsektor werden den Wirtschaftsstandort Marokko weiter stärken und die Verbindungen innerhalb des Landes sowie mit anderen Ländern verbessern. Das verbessert nicht nur die Mobilität der Bevölkerung und des Gütertransports; es eröffnen sich auch neue Chancen für Unternehmen und Investoren – auch und gerade aus Deutschland.
Der „Boraq“ von Rabat nach Tanger hat rund zwei Milliarden Euro gekostet, die Züge samt Betriebssystem sind französischer Machart. Frankreich hat sich an den Kosten zur Hälfte beteiligt. In den weiteren Ausbauphasen, so ist in Rabat zu hören, sollen auch Unternehmen aus anderen Ländern zum Zug kommen.
Der Tunnel zur EU
Ein weiteres ehrgeiziges Projekt, das die Entwicklung Marokkos maßgeblich beeinflussen würde, ist das „Project de Tunnel Ferroviaire sous le Détroit de Gibraltar“ – ein Eisenbahntunnel unter der Straße von Gibraltar. Aufgrund seiner geografischen Lage zwischen Europa und Afrika und als Schnittstelle zwischen dem Atlantik und dem Mittelmeer ist die nur 14 Kilometer schmale Straße von Gibraltar ein entscheidender Passageweg für die Schifffahrt. Der Tunnel soll künftig die beiden Kontinente Europa und Afrika direkt miteinander verbinden. Name des Projekts: „Fixed Link“.
Marokko und Spanien haben nun beschlossen, eine Machbarkeitsstudie für diese feste Verbindung durch die Meerenge anzufertigen, um ihre Kooperationsbeziehungen zu stärken und das westliche Mittelmeer zu einem wichtigen Zentrum des Austauschs zwischen Europa und Afrika zu machen.
Die Errichtung einer etwa 28 km langen festen Verbindung durch die Straße von Gibraltar würde maßgeblich zur Stabilität und wirtschaftlichen Entwicklung der Region beitragen. Als Verkehrsdrehkreuz zwischen Europa und Afrika würde diese feste Verbindung die Transportstrategie im westlichen Mittelmeer grundlegend verändern.
Die Ghorfa wurde unterrichtet
Das Einzugsgebiet des Projekts birgt ein großes Potenzial für wirtschaftliche Entwicklung und wird sicherlich zu einem dynamischen Zentrum werden, das mit derzeitigen Handelszentren konkurrieren kann. Die Reisezeit zwischen den europäischen und afrikanischen Terminals würde weniger als 30 Minuten betragen, was einer städtischen oder vorstädtischen Fahrtzeit ähnelt. Zudem bieten die Hochgeschwindigkeitszugnetze, die sowohl in Spanien als auch in Marokko stark im Aufschwung sind, ein enormes Potenzial für schnelle Verbindungen zwischen den beiden Ländern, insbesondere vor dem Hintergrund des wachsenden Handels zwischen der Europäischen Union und Nordafrika.
Das gemischte Komitee von Marokko und Spanien hielt Mitte April 2023 seine bereits 43. Sitzung zum Gibraltar-Tunnel ab, unter dem Vorsitz des marokkanischen Ministers für Ausrüstung und Wasser, Nizar Baraka, sowie der spanischen Transportministerin Raquél Sanchez. Über die neuesten Entwicklungen in diesem Projekt ist die Ghorfa-Delegation nach Marokko Anfang Mai 2023 unter Leitung Ghorfa-Präsident Peter Ramsauer im Ministerium für Ausrüstung und Wasser von den Zuständigen der Société Nationale D‘ Études Du Detroit (SNED) unmittelbar unterrichtet worden.
Die Teilnehmer der deutschen Delegation haben mit Freude vernommen, dass bei den derzeitigen Studien bereits auf Knowhow aus Deutschland gesetzt wird.
Von Zakaria Korte
Zakaria Korte ist Rechtsanwalt (Berlin) und Avocat à la Cour (Paris). Vom eigenen Büro in Rabat aus befasst er sich speziell mit dem Wirtschaftsrecht der Maghreb-Staaten und berät deutsche Unternehmen vor Ort.