Ghorfa-Vizepräsident Olaf Hoffmann über die rasanten Veränderungen in den arabischen Ländern. Die neue Verhältnisse fordern eine koordinierte und aufrichtige Herangehensweise von deutscher Seite, die dem wirtschaftlichen und politischen Fortschritt beider Seiten dient.
SOUQ: Herr Hoffmann, Sie sind seit fast zwei Jahrzehnten im arabischen Raum als Unternehmer tätig. Seit 12 Jahren sind Sie auch Vizepräsident der Ghorfa. Sie haben also einen weit reichenden Überblick. Was hat sich in den arabischen Ländern verändert?
Hoffmann: Die arabische Welt ist in ihrer Vielfalt und Dynamik heute kaum mit einem einzigen Blick zu erfassen. Man ist immer noch gut beraten, den Unterschied zu machen zwischen ölreichen Ländern und den Ländern, die ihre Volkswirtschaften nicht auf Öl und Gas aufbauen können.
Die Nicht-Öl-Länder sind vor allem durch die Herausforderungen, aber auch die Chancen geprägt, die ihre jungen, gut ausgebildete Bevölkerung mitbringt. Die sogenannte ‚Arabellion‘ zu Beginn der 2010er Jahre hat viele dieser Länder tiefgreifend beeinflusst. Obwohl es immer noch an Arbeitsplätzen mangelt, schreiten diese Länder in der Industrialisierung voran und werden teilweise sogar zu Vorreitern im Bereich erneuerbarer Energien, wie das Beispiel Marokko zeigt.
In den öl- und gasproduzierenden Ländern wiederum beobachten wir eine duale Entwicklung: Einerseits die kontinuierliche Investition in die Öl- und Gasinfrastruktur, andererseits die strategische Vorbereitung auf die Post-Öl-Ära mit diversifizierten Investitionen in Tourismus, Lebensmittelsicherheit, Logistik und den Aufbau globaler Portfolios, insbesondere in Immobilien und Unternehmensbeteiligungen. Diese Vorbereitungen gehen weit über die oft zitierten Prestigeprojekte hinaus und signalisieren eine kluge und weitsichtige Planung für die Zukunft.
Die zurückliegenden zwei Jahrzehnte haben einen reifen und gesunden wirtschaftlichen Austausch zwischen den Rohstoff- und Nicht-Rohstoff-Ländern des arabischen Raums gefördert. Dabei hat die Rückkehr gut ausgebildeter Arbeitskräfte aus den Golfstaaten in ihre Heimatländer etwa in Nordafrika ein beispielhaftes Zeichen gesetzt: Für den Know-how-Transfer und die dadurch entstehenden wirtschaftlichen Synergien.
SOUQ: Gibt es unter den ölreichen Ländern ein Land, dessen Fortschritte oder Initiativen Sie als besonders bemerkenswert einstufen? Gibt es ein Modell oder gibt es nachahmenswerte Muster?
Hoffmann: Mustergültig ist vielleicht, dass alle öl- und gasreichen Länder der arabischen Welt Visionen und Pläne für ihre Zukunft verfolgt haben. Seit den 2000er Jahren haben diese Länder, wie etwa mit der „Qatar National Vision 2030“, der „Abu Dhabi Economic Vision 2030“,oder der „Saudi Vision 20230“ beeindruckende nationale Strategien für Infrastruktur, Urbanisierung und Industrieentwicklung vorgestellt. Trotz der globalen wirtschaftlichen Schwankungen und Herausforderungen wie der Pandemie haben sich alle an ihre langfristigen Pläne gehalten und bemerkenswerte Schritte in der Realisierung ihrer ambitionierten Ziele gemacht.
Erfolge in kurzer Zeit
Die Tatsache, dass diese Entwicklungen in einem relativ kurzen Zeitraum von nur 15 Jahren erreicht wurden, verdient besondere Anerkennung. Die Generation der Araberinnen und Araber im Alter von jetzt 50 bis 60 Jahren hat in diesen zwei Jahrzehnten enorm viel für ihre Länder geleistet und beeindruckende Entwicklungen miterlebt. Diese kollektive Leistung stellt eine bemerkenswert erfolgreiche Periode dar, die die wirtschaftliche und soziale Landschaft dieser Nationen nachhaltig geprägt hat.
SOUQ: Die ölreichen Länder am Golf treten jetzt als Treiber für Entwicklung auf – mit teilweise aufsehenerregenden Ergebnissen – wie einem Flug zum Mars durch Emiratis bis hin zu einer super gelungenen Fußball WM in Katar 2022. Ist das überzogener Ehrgeiz oder spiegelt das die Entwicklung der realen Kräfte wider?
Hoffmann: Ich beobachte eindrucksvolle Fortschritte in verschiedenen Ländern und Sektoren. Nehmen wir zum Beispiel die „Abu Dhabi Economic Vision 2030“ – sie ist ein Musterbeispiel dafür, wie strategische Planung in erfolgreiche Realität umgesetzt wird. Wir sehen dort eine Fokussierung auf Infrastruktur, Tourismus und eine fortschreitende Urbanisierung, die wirklich beeindruckt. Was vielleicht weniger im Rampenlicht steht, aber enorm wichtig ist, ist die Sicherstellung der Ernährung – hier fließen riesige Investitionen, und es ist ein Bereich, den wir sehr ernst nehmen.
In Saudi-Arabien beobachte ich, wie die Regierung junge Menschen durch Programme wie „Saudisation“ in den Arbeitsmarkt einbindet. Das ist eine kluge Herangehensweise, um die Gesellschaft in die Wirtschaft zu integrieren und soziale Stabilität zu schaffen. Und dann ist da Katar – ein kleineres Land, aber wirtschaftlich sehr dynamisch. Dort wird versucht, eine Anziehungskraft für Industrien und internationale Firmen zu schaffen, um sich als globaler Knotenpunkt zu etablieren.
SOUQ: Unterhaltung und Veranstaltungsmanagement sind wichtige Wirtschaftszweige in Katar geworden – Stichwort Fußball-WM 2022 und zuletzt der Asia Cup.
Hoffmann: Absolut, die Fußball-WM war ein Meilenstein für Katar und hat gezeigt, wie ernst das Land die Diversifizierung seiner Wirtschaft nimmt. Große Sportereignisse und Unterhaltungsangebote sind weit mehr als nur kurzfristige Veranstaltungen. Sie sind Teil einer langfristigen Strategie, um auf der politischen und wirtschaftlichen Weltkarte sichtbar zu werden. Das gilt nicht nur für Katar, sondern auch für Dubai, das sich zu einem Hotspot für Lifestyle und digitale Medien entwickelt hat.
Einzigartige Lage
Diese Regionen haben die Art und Weise, wie traditionell über Tourismus und Events gedacht wird, neu definiert. Sie nutzen ihre sehr günstige, einzigartige geografische Lage, weil sie in vielen Zeitzonen für Milliarden von Menschen zu günstigen Zeiten fast gleichzeitig zugänglich sind – beispielsweise durch live-Übertragungen von Ereignissen. Zudem haben sie ihre Infrastruktur klug ausgebaut, um sich als globale Drehkreuze für Flugverkehr und Fracht zu etablieren. Das alles ist Teil eines größeren Bildes, das zeigt, wie diese Länder ihre Zukunft aktiv gestalten.
SOUQ: Saudi-Arabien hat sich später als andere Länder aufgemacht, seine Zukunft über eine Vision zu definieren. Vollzieht sich der Wandel dort jetzt umso schneller oder täusche ich mich?
Hoffmann: Sie haben absolut recht. Saudi-Arabien hat vielleicht später begonnen, aber das Tempo und die Entschlossenheit, mit der das Königreich seine „Saudi Vision 2030“ verfolgt, sind bemerkenswert. Kleinere Nationen können gesellschaftliche Veränderungen möglicherweise schneller umsetzen, da die Kommunikationswege kürzer sind und die Flexibilität größer ist. In Saudi-Arabien gab es jedoch einen klaren Bedarf und den richtigen Antrieb, gesellschaftliche Veränderungen in Angriff zu nehmen. Die Tatsache, dass das Land jetzt mit solcher Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit agiert, ist beeindruckend. In der Mitte des 21. Jahrhunderts wird es rückblickend keine Rolle spielen, ob diese Veränderungen ein Jahr früher oder später begonnen haben. Was zählen wird, sind die erzielten Ergebnisse und der nachhaltige Wandel.
SOUQ: Bei den großen Milliardenaufträgen für große Bau-Infrastrukturmaßnahmen im arabischen Raum tauchen deutsche Konzerne nicht mehr auf. Früher haben Firmen wie Holzmann oder HochTief Häfen, Flughäfen und Autobahnen gebaut. Und in ihrem Gefolge sind hunderte deutsche Mittelständler an diesen Baustellen aktiv geworden.
Hoffmann: Deutsche Baufirmen spielen in der Tat nicht mehr die führende Rolle bei den wirklich großen Infrastrukturprojekten, wie wir das aus der Vergangenheit kennen. Dennoch gibt es weiterhin deutsche Bauunternehmen mit Milliardenumsätzen, die bedeutende Projekte in der Region realisieren.
Wir exportieren Standards
Die Konkurrenz hat zugenommen, aber die Qualität und Standards, die deutsche Unternehmen setzen, sind weltweit nach wie vor anerkannt – insbesondere unsere Baumaschinenindustrie gilt als Goldstandard. Wir als Dorsch Global haben uns hingegen in den letzten zwei Jahrzehnten erfolgreich in der Bau- und Infrastrukturplanung etabliert und sind weltweit an Megaprojekten beteiligt. Wir exportieren nicht nur technisches Know-how, sondern auch deutsche Standards in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz, die zunehmend an Bedeutung gewinnen.
SOUQ: Hier scheinen sich gerade Veränderungen vor allem in qualitativer Hinsicht zu vollziehen.
Hoffmann: Die Digitalisierung bringt große Veränderungen mit sich und wir stehen in der Tat an einem Wendepunkt. Wir sind mittlerweile in der Lage, durch digitale Modelle und Simulationen den gesamten Lebenszyklus von Infrastrukturen zu planen und zu optimieren. Die Betriebs- oder Lebenszykluskosten spielen als Entscheidungskriterium für Investitionen eine immer dominatere Rolle.
Der gesamte Zyklus
Wir sind stolz darauf, dass wir mit unseren hohen ESG-Standards und unserem Fokus auf Nachhaltigkeit einen positiven Beitrag leisten können. Mit meinem Unternehmen „Deutsche Wasser“ spiegeln wir diese Entwicklung wieder, indem wir uns auf den Betrieb kommunaler Wasser- und Abwasserinfrastruktur spezialisieren. So können wir nicht nur während der Bauphase, sondern über den gesamten Lebenszyklus hinweg einen Mehrwert bieten und damit einen neuen Marktmechanismus für den Betrieb von Infrastrukturen schaffen. Damit sind wir als „Deutsche Wasser“ übrigens derzeit das einzige deutsche Unternehmen, welches sich in dieser Richtung international aufstellt.
SOUQ: Sie sind mit Dorsch Global und nun auch mit Ihrem Unternehmen „Deutsche Wasser“ im Bereich der grundlegenden Infrastruktur und ihrer Planung im arabischen Raum aktiv. Können Sie uns ein Projekt nennen, die für sie einen prägenden Charakter hat?
Hoffmann: Ja, eines unserer Projekte ist ein Meilenstein für uns – es geht um die neue Verwaltungshauptstadt nahe Kairo, die seit 2015 im Aufbau ist und nun in Betrieb genommen wird. Die „New Administrative Capital“ ist Teil der „Egypt Vision 2030“ und wird auf 700 Quadratkilometern 6,5 Mio. Einwohnern ein neues Zuhause bieten.
Deutsche Wasser
„Deutsche Wasser“ hat einen 20-Jahres-Vertrag für den gesamten Betrieb der Wasser- und Abwasserinfrastruktur unterzeichnet. Diese Aufgabe mit ihrer weitreichenden Verantwortung zeigt die ganze Skala der Betreiberindustrie auf, die wir betreten. Das Potenzial, das sie für die Zukunft bietet, ist für Unternehmen wie „Deutsche Wasser“ enorm. Es handelt sich bei dem Thema Wasser um eine Zukunftsaufgabe, die in ihrer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dimension noch nicht adäquat bewertet wird.
SOUQ: Sie haben jüngst mit Dorsch eine bedeutende Akquisition in Ägypten vorgenommen und halten auch diese für richtungsweisend. Was ist das Beispielgebende an der Partnerschaft mit dem ägyptischen Partner?
Hoffmann: Die Akquisition, die wir im letzten Jahr in Ägypten getätigt haben, ist eine Beteiligung an der ECG Engineering Consulting Group, dem Marktführer für Bau- und Infrastrukturplanung in Ägypten. ECG beschäftigt heute über 3.000 Mitarbeiter. Gemeinsam planen wir, Projekte nicht nur in Ägypten, sondern auch in den arabischen Nachbarländern und mittelfristig in ganz Afrika anzugehen. Für deutsche Unternehmen ist Ägypten ein exzellentes Tor nach Afrika.
Der Zeitpunkt der Investition konnte nicht besser sein. Unsere Beteiligung in Ägypten ermöglicht es uns, im Land zu produzieren, aber auch Dienstleistungen und Produkte in den Nachbarländern anzubieten. Dies ist besonders attraktiv, da es uns ermöglicht, in dollargebundenen Märkten kompetitiver zu agieren.
Ein weiterer entscheidender Faktor für unsere Entscheidung war das immense Potenzial der gut ausgebildeten, jungen Fachkräfte und Ingenieure in Ägypten. In Europa ist das Wachstum durch Fachkräfte begrenzt, während Afrika ein Kontinent voller Möglichkeiten ist. Wir können nicht warten, bis wir genügend Deutsche finden, die bereit sind, nach Afrika zu gehen; daher ist die Zusammenarbeit mit lokalen Kräften essenziell.
Fantastische Partner
Unsere Partnerschaft mit ECG verläuft übrigens fantastisch. Wir teilen eine ähnliche Unternehmenskultur und die Kommunikation ist ausgezeichnet. Das zeigt, dass Kooperationen mit arabischen Unternehmen sehr erfolgreich für beide Seiten laufen können.
SOUQ: Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Ägypten und warum war der Zeitpunkt für die Akquisition so geeignet?
Hoffmann: Meine Einschätzung von Ägypten ist positiv, trotz einiger Herausforderungen wie Inflation und Abwertung des ägyptischen Pfundes. Die ägyptische Regierung hat in den letzten zehn Jahren einen starken Investitionsschub umgesetzt und dabei bemerkenswerte Erfolge erzielt. Denken Sie nur an die Energieknappheit vor 10 Jahren – heute verfügt Ägypten über eine zuverlässige Stromversorgung für Industrie und private Haushalte. Großprojekte wie der Suezkanal-Bypass wurden schnell und effizient umgesetzt und tragen wesentlich zum Staatshaushalt bei. Es wurden zahlreiche Infrastrukturprojekte vorangetrieben, um der wachsenden und gut ausgebildeten jungen Bevölkerung Arbeitsmöglichkeiten zu bieten.
Guter Standort für Deutsche
Diese Errungenschaften sollten trotz der aktuellen Schwierigkeiten nicht übersehen werden. Sie sind aus unternehmerischer Sicht bemerkenswert, auch wenn sie Risiken und Herausforderungen mit sich bringen. Mit unserer Investition in den lokalen Marktführer unserer Branche haben wir unterstrichen, dass wir Ägypten als vielversprechenden Standort für die deutsche Industrie betrachten, insbesondere wenn man das richtige Geschäftsmodell, das heißt einen hohen Exportanteil in die Nachbarländer, und eine umsichtige Investitionsstrategie wählt.
SOUQ: Haben wir in Deutschland schon richtig verstanden, welche Änderungen in den arabischen Ländern insgesamt vorgegangen sind?
Hoffmann: Ich denke, dass wir in Deutschland unser Bild der arabischen Länder aktualisieren müssen. Die großen Veränderungen der letzten 15 Jahre, insbesondere die Vorbereitungen auf eine Post-Öl- und Gas-Ära sowie der fortschrittliche Wandel vor allem in den Gesellschaften, die durch die Arabellion gegangen sind, müssen stärker anerkannt werden. Es ist an der Zeit, die Leistungen dieser Länder zu würdigen, anstatt alte Narrative zu wiederholen. Wir sollten ein dynamisches, junges und modernes Arabien wahrnehmen, trotz der vielen Konflikte, die es in der Region gibt. Diese sind in der Tat oft komplex und können von einem Land zum nächsten stark variieren.
Neue Bewertung auf Augenhöhe
Eine Neubewertung der arabischen Welt auf Augenhöhe ist dringend notwendig. Das gilt nicht nur in Bezug auf eine faire Berichterstattung. Auch andere Player in Deutschland sollten anerkennen, dass wir als politischer und wirtschaftlicher Partner in der Region geschätzt und ernst genommen werden müssen, wenn wir Erfolg haben wollen. Dies ist entscheidend, wenn wir über Verteidigungsbündnisse, Migrationsabkommen oder Energiepartnerschaften sprechen. Nur durch eine unvoreingenommene und realistische Betrachtungsweise können wir die Basis für eine konstruktive und zukunftsorientierte Zusammenarbeit mit den arabischen Ländern schaffen.
Es wird natürlich beobachtet, dass wir großen Wert auf arabische Länder legen, wenn es um Energiefragen geht. Aber es wird auch wahrgenommen, dass wir andere Themen nicht so wichtig nehmen und auf unterschiedlichen Auffassungen bestehen. Das kommt nicht überall gut an. Wir sollten wahrnehmen, dass das Selbstbewusstsein in diesen Ländern begründeterweise stark angewachsen ist.
SOUQ: Internationale Umfragen zeigen, dass das Ansehen der EU und Deutschlands gesunken ist. Wie erklären Sie sich diesen Ansehensverlust?
Hoffmann: Ich bin der Meinung, dass Deutschland nach wie vor einen ausgezeichneten Ruf genießt. Allerdings haben wir es mit einer dynamischen globalen Wirtschaft zu tun, in der andere Länder, insbesondere aus der arabischen Welt, rasante Fortschritte machen. Diese Länder haben ihre Bildungsstandards erheblich gesteigert. Früher gingen junge Araber nach Kairo zum Studium, heute sind sie an Eliteuniversitäten weltweit zu finden. Sie kehren mit einem umfassenden Weltverständnis in ihre Heimatländer zurück, was dazu führt, dass unsere Fähigkeiten aus einer anderen Perspektive bewertet und verglichen werden.
Wir können nicht erwarten, dass deutsche Produkte und Expertise automatisch als die besten angesehen werden. Die Welt ist vielfältiger geworden, und andere Länder bieten ähnliche Qualitäten. Unsere Rolle als Partner ist nach wie vor geschätzt, aber die Partnerschaft muss wechselseitig sein. Wir dürfen nicht nur Lieferanten sein, die ihre Dienste anbieten und dann wieder gehen.
Mehr Engagement
Stattdessen müssen wir uns langfristig und intensiver engagieren, um an diesen Entwicklungen bilateral teilzuhaben.
SOUQ: Mit welchen Ländern konkurrieren wir bei unserem Auftritt? Womit Punkten etwa Chinesen oder auch Südkoreaner – die teilweise sehr erfolgreich im arabischen Raum agieren?
Hoffmann: China hat seine Präsenz in der Region stark ausgebaut, was etwa daran erkennbar ist, dass sie in 2023 viermal so viele Waren nach Saudi-Arabien exportierten wie wir. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sie Produkte anbieten, die gerade nachgefragt werden und die wir möglicherweise in dieser Form nicht liefern. Es wäre zu kurz gegriffen zu sagen, dass die Chinesen nur aufgrund von niedrigen Preisen und geringer Qualität erfolgreich sind. Wir müssen unsere höheren Preise durch überlegene Qualität rechtfertigen. Südkorea ist ein weiterer starker Konkurrent, vor allem in Bereichen wie IT und Software, wo sie uns vielleicht sogar einen Schritt voraus sind. Ihr rasantes Wachstum von einer Stahl- und Schiffsindustrienation zu einem High-Tech-Land in nur wenigen Jahrzehnten ist beeindruckend. Koreanische Produkte sind qualitativ mit deutschen vergleichbar und preislich nicht günstiger, was sie zu einem direkten Konkurrenten macht.
Unsere Herausforderung besteht darin, anzuerkennen, dass es neben uns andere gibt, die ebenfalls hervorragende Arbeit leisten. Früher war ein gutes Auto automatisch ein deutsches Auto. Heute gibt es Alternativen. Wir müssen uns der Realität stellen, dass wir den Anschluss in manchen Technologiebereichen wie Software verloren haben. Das wird in einer zunehmend digitalisierten Welt mit Schwerpunkten wie künstlicher Intelligenz umso deutlicher. Wir müssen uns den aktuellen Gegebenheiten stellen und unsere Rolle in diesem neuen Umfeld definieren.
SOUQ: Unsere Probleme beim Berliner Flughafen oder bei der Deutschen Bahn – nur als Beispiele – irritieren viele arabische Freunde ebenso wie eine teilweise als herablassend und bevormundend wahrgenommene Politik ihnen gegenüber. Welchen Beitrag können die Instrumente der deutschen Außenwirtschaftspolitik leisten, um hier Abhilfe zu schaffen und die Bedeutung der deutschen Wirtschaft in der Region zu stärken?
Hoffmann: In der Tat spiegeln einige deutsche Pestigeprojekte ein Bild wider, das nicht mehr dem früheren Qualitätsanspruch Deutschlands entspricht. Hinzu kommt eine wahrgenommenes fehlendes Verständnis lokaler Verhältnisse in der Politik, die unsere Beziehungen im arabischen Raum belastet. Aus meinen Gesprächen mit arabischen Partnern weiß ich, dass sie die frühere sehr enge Verbindung von deutscher Außen- und Wirtschaftspolitik vermissen. In der Vergangenheit waren wirtschaftliche Stärke und politischer Einfluss zwei Seiten derselben Medaille. Politische Ziele wurden nicht nur durch pointierte, sondern übersektorale Exportförderung verstärkt. Dies hat sich in den letzten Jahren scheinbar gelöst, was nicht immer positiv aufgenommen wird. Die Außenwirtschaftspolitik sollte daher wieder enger mit der gesamtenWirtschaft verknüpft werden. Wir brauchen eine integrierte Strategie, die wirtschaftliche und politische Ziele verbindet, um im internationalen Maßstab weiterhin erfolgreich zu sein.
SOUQ: Muss Deutschland angesichts der Bedeutung der arabischen Welt als unseren südlichen Nachbarn und der wachsenden Einflüsse anderer Akteure eine neue Nah- und Mitteloststrategie entwickeln?
Hoffmann: Ich bin der Überzeugung, dass unsere Beziehung zu Nordafrika bereits durch eine starke politische Partnerschaft geprägt ist und dort viel Arbeit durch Programme wie z. Bsp. den „Compact with Africa“ geleistet wird. Bezüglich der gesamten arabischen Welt müssen wir jedoch anerkennen, dass andere Akteure wie China im Ansehen enorm gewachsen sind. Die chinesische Außenwirtschaftspolitik, die auf dem Tausch von Rohstoffen gegen Infrastruktur und Produkte beruht, ist seit Jahren in Afrika und Südamerika sehr erfolgreich. Das selbe Vorgehen sehen wir jetzt im arabischen Raum.
Die Strategie anpassen
Für Deutschland bedeutet das, dass wir vielleicht unsere Strategie anpassen müssen, um den neuen geopolitischen Realitäten gerecht zu werden. Es ist nicht mehr ausreichend, uns allein auf unsere traditionellen Stärken zu verlassen. Wir müssen vielmehr einen Weg finden, unsere wirtschaftlichen Beziehungen mit einer starken politischen Partnerschaft zu untermauern und dabei den kulturellen und politischen Nuancen der Region gerecht zu werden. Nur so können wir sicherstellen, dass unser Ansehen und unsere Bedeutung in der arabischen Welt nicht nur erhalten bleiben, sondern auch wachsen.
SOUQ: Herr Hoffmann, Sie sind seit vielen Jahren an führender Stelle in der Ghorfa aktiv, seit 12 Jahren auch als Vizepräsident der arabisch-deutschen Kammer für Handel und Industrie. Mit einem erfahrenen Blick zurück: Wie hat sich die Ghorfa verändert?
In den Jahren meiner Tätigkeit haben wir bei der Ghorfa eine bemerkenswerte Entwicklung erlebt. Kontinuität und das persönliche Engagement unserer Mitglieder sind ein herausragendes Merkmal der Ghorfa. Unser Generalsekretär Abdulaziz Al-Mikhlafi hat über zwei Jahrzehnte hinweg ein hervorragendes Netzwerk aufgebaut – im Inland wie im arabischen Ausland. Da ist ein starkes Vertrauen zu unseren Partnern entstanden.
Wir hatten mit Thomas Bach, der jetzt Präsident des Internationalen Olympischen Komitees ist, einen Präsidenten, der global und besonders in der arabischen Welt ein extrem hohes Ansehen genießt. Unser jetziger Präsident Dr. Peter Ramsauer, der ehemalige Verkehrsminister, hat durch sein parteiübergreifendes Wirken vertrauensvolle Beziehungen in Berlin und den arabischen Ländern aufgebaut – auch zu den Medien.
Die Ghorfa ist exzellent positioniert
Durch diese Persönlichkeiten, die ich hier nur beispielhaft nenne, und ihre Fähigkeiten haben wir trotz aller Herausforderungen wie der Finanzkrise, der Eurokrise und der Corona-Pandemie eine enorme Stetigkeit entwickelt. Das war sehr hilfreich für ein besseres Verständnis zwischen Deutschland und der arabischen Welt, für den Aufbau von Vertrauen und für eine verstärkte Sichtbarkeit. Sowohl international als auch innerhalb Deutschlands. Die Ghorfa hat eine exzellente Position erreicht, die sich auch in einer gesunden wirtschaftlichen Verfassung widerspiegelt.
Die Aufgabenstellung der Ghorfa ist im Kern gleich geblieben. Die Ghorfa soll die bilateralen Beziehungen effektiv stärken und beiderseitiges Verständnis fördern. Aber wir haben bewiesen, dass die Ghorfa sich professionell an veränderte Bedingungen flexibel anpassen kann.
SOUQ: Herr Hoffmann, wir danken Ihnen sehr für diesen umfassen Einblick und das sehr informative Gespräch.
Das Interview führte SOUQ-Chefredakteur Jürgen Hogrefe