Am fünften Februar kamen 75 Vertreter der Konfliktparteien Libyens bei einem Treffen in der Schweiz zusammen. Sie wählten unter Aufsicht der Vereinten Nationen ein dreiköpfiges Präsidium sowie einen Ministerpräsidenten, der bis Ende Februar ein Kabinett für die neue Übergangsregierung bilden soll. Die neue Übergangsregierung soll dann die Regierungsaufgaben bis zu den Neuwahlen im Dezember 2021 übernehmen.

Zum Ministerpräsidenten wurde der Aktivist und Geschäftsmann Abdulhamid Dbaiba gewählt. Unter Gaddafi leitete Dbaiba die staatliche Investment and Development Company (LIDCO), die für einige der größten Bauprojekte des Landes zuständig war. An der Spitze des neu gewählten dreiköpfigen Präsidiums wird Mohammed Minfi aus Ostlibyen stehen, ehemaliger Botschafter in Griechenland. Die zwei weiteren Präsidiumsmitglieder sind Musa Al-Kuni and Abdullah Hussein Al-Lafi. Um die Posten hatten sich 45 Kandidaten beworben.

Seit dem Sturz Gaddafis 2011 kam es in Libyen zu andauernden Machtkämpfen. Seit 2014 konkurrierten zwei Regierungen und zwei Parlamente im Osten und Westen Libyens miteinander. Der Versuch 2015, eine Einheitsregierung zu bilden, scheiterte. Mit einer großangelegten Militäroffensive des den Osten Libyen kontrollierenden Generals Chalifa Haftar kam es 2019 zur Eskalation der Machtkämpfe. 2020 drängten die Regierungskräfte in Tripoli Haftars Truppen aus Westlibyen zurück. Bis zur Vereinbarung des Waffenstillstandes im Oktober 2020, standen sich die Konfliktparteien im Zentrum des Landes gegenüber.

Auf internationaler Ebene kam es zu verschiedenen Vermittlung- und Verhandlungsforen, um über die Stabilisierung Libyens zu beraten.

Im Januar 2020 lud die deutsche Regierung zum Libyen-Gipfel in Berlin, zu dem fast alle Staaten, die den Libyen-Krieg mit Waffen und Kämpfern unterstützen, zusammenkamen. Auch wenn ein Waffen-Embargo nicht umgesetzt werden konnte, bereitete dieser Gipfel den Weg für den Waffenstillstand im Oktober 2020 sowie die Gespräche zwischen den Konfliktparteien über eine Übergangsregierung. Auf den Libyen-Gesprächen in Tunesien im November 2020 einigten sich die Teilnehmer auf die Durchführung von Neuwahlen am 24. Dezember 2021 sowie die Wahl einer Übergangsregierung im Februar 2021. Zusätzlich beschlossen die Vereinigten Nationen im Dezember 2020 den Waffenstillstand mit einer Beobachtungsmission unter libyscher Führung sowie mit Hilfe internationaler Beobachter zu kontrollieren.

Die Bildung einer Übergangsregierung bis Ende Februar bietet Hoffnung, dass Libyen seinen Weg aus seiner Konfliktgeschichte finden wird und der Wiederaufbau des Landes beginnen kann.

Libyen verfügt über die größten bestätigten Erdölreserven Afrikas, insgesamt 48,4 Milliarden Barrel. 2019 produzierte Libyen 1,2 Millionen Barrel pro Tag. 2019 waren 97,8% aller deutscher Importe aus Libyen Einfuhren von Erdöl. Eine Stabilisierung des Landes lässt eine Kapazitätssteigerung der Erdöl-Produktion erwarten.

Neben dem Energie-Sektor gibt es zwei weitere Sektoren, die mit einem Ende des Konfliktes einen Investitionsanstieg erfahren werden. Das sind der Gesundheits- und Bausektor. Der Konflikt hat große Schäden für die Basisversorgung und städtische Infrastruktur der libyschen Gesellschaft verursacht. Im Gesundheitssektor wird es neben dem Wiederaufbau der medizinischen Infrastruktur vor allem eine große Nachfrage nach Personal- und Kompetenzschulungen geben. Der öffentliche Bau- und Infrastruktursektor steht seit dem Konflikt in Abwesenheit der internationalen Auftragnehmer weitgehend still. Dies betrifft nicht nur Bauunternehmen, sondern auch diverse Zulieferer. Baumaterial und -maschinen – früher stark nachgefragte Warengruppen – werden derzeit von öffentlicher Hand nur in sehr geringem Umfang importiert. In den Jahren vor dem Konflikt hatte der libysche Staat durch Bauaufträge in Milliardenhöhe große Unternehmen aus aller Welt angelockt und viele der Projekte befanden sich zum Zeitpunkt der Suspendierung noch in der Planungs- oder Umsetzungsphase. Eine Stabilisierung Libyens würde dem Bausektor wieder Auftrieb verleihen.

Die Normalisierung der Lage lässt auch auf stärkere Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Libyen hoffen. 2019 betrugen die deutschen Exporte nach Libyen 432,4 Millionen Euro, eine Steigerung um 32,6% im Vergleich zum Vorjahr. Deutsche Exportgüter sind vor allem Maschinen, Nahrungsmittel und chemische Erzeugnisse. Die deutschen Importe aus Libyen hatten 2019 einen Wert von 3,9 Milliarden Euro und waren um 14% angestiegen. Deutschland ist ein großer Abnehmer libyscher Exporte. 2017 betrug der deutsche Abnahme-Anteil 8,6%. Gemäß des Economic Outlook des IMF betrug das BIP Libyens 2019 39,8 Milliarden Euro und wird für 2021 auf 31,8 Milliarden Euro prognostiziert.

Eine positive Entwicklung aktueller Stabilisierungsbestreben wird sich vielversprechend auf zukünftige Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Libyen auswirken.