Der Klimawandel lässt die Böden der traditionellen Kornproduzenten Irak und Syrien austrocknen. Covid-19 und die Pandemiefolgen haben die Produktionsmöglichkeiten und Lieferketten für agrarische Güter erheblich eingeschränkt. Nun bricht wegen des Ukraine-Krieges auch noch die Belieferung mit Weizen aus Osteuropa weg. Die arabische Welt steht vor der Herausforderung, die Ernährung der eigenen Bevölkerung sicher zu stellen.

Der Irak, das alte Zweistromland, gilt nicht nur als die „Wiege der Zivilisation“. Wegen seiner sehr günstigen Lage zwischen Euphrat und Tigris verfügte er über fruchtbare Äcker und beste Möglichkeiten für eine üppige Landwirtschaft dank hinreichender Bewässerung. Doch die stets zuverlässige Kornkammer des Nahen Ostens liefert schon lange nicht mehr. Es reicht nicht einmal mehr für die eigene Bevölkerung.

Der Wasserpegel von Euphrat und Tigris sinkt immer weiter ab, der Grundwasserspiegel fällt seit Jahren unaufhörlich. Wo ehemals grüne Felder überreichlich Getreide, Gemüse und Früchte abwarfen, verdorren heute die Ähren auf dem Halm. Mancherorts wird schon gar nicht mehr gesät. Es regnet zu wenig, die Luft ist zu trocken und viel zu heiß. Die Existenz der Landwirte ist unmittelbar bedroht. „Panik im Paradies“ titelte unlängst der SPIEGEL.

Der weltweite Klimawandel tritt hier besonders sichtbar zutage; er ist indes nur eine der Ursachen für die Krise. Der Irak-Krieg, angeführt von den USA, hat auch die gewohnten Strukturen in der Landwirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen. Seit 2003 hat sich für Landwirte im Irak vieles verändert. So wurde die Wiederverwendung von Saatgut verboten; stattdessen müssen die einheimischen Bauern ausländisches Saatgut kaufen. Doch dafür fehlt ihnen häufig das Geld. Die Landwirte, die die Menschen satt machen sollen, sind heute selbst oft abhängig von Zuschüssen.

Wie im Irak wurden auch in Syrien viele unterschiedliche Arten an Saatgut verwendet, weswegen es eine große Produktvielfalt gab. Weizen, Gerste oder Sesam wurde lange Zeit heimisch angebaut. Syrien konnte locker genug für den Eigenbedarf produzieren, es war darüber hinaus in der Lage, den Libanon und Jordanien mit hinreichend Getreide, Obst und Oliven zu versorgen. Doch auch die zweite „Kornkammer“ der Region, das einstmals gut organisierte Syrien, kann schon längst nicht mehr die Region beliefern. Und auch für den eigenen Bedarf reicht es nicht mehr. Heute leiden in Syrien Millionen Menschen Hunger.

In Syrien, wie im Irak, vereinigt sich das Schlechte mit dem Übel: Bürgerkrieg und Klimawandel haben die Landwirtschaften in beiden Ländern weitgehend zerstört.

Kriegsfolgen

Hinzu kommt neuerdings ein weiteres Verhängnis: Länder wie Ägypten, Tunesien und Marokko etwa importierten große Teile ihres Weizens aus Russland und der Ukraine. Es gibt aktuell noch keine schlüssige, dauerhafte Lösung für die Versorgungskrise, die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgelöst wurde. Und dann ist da noch der vom Krieg gebeutelte Jemen, wo die Menschen schon seit Jahren Hunger erleiden müssen.

Besonders den Europäern, die sich seit Jahrzehnten sorglos aus stets gefüllten Regalen bedienen können, dämmert nun, dass ein Problem, das längst schon erledigt zu sein schien, nach wie vor besteht: Die Ernährungssicherstellung von Bevölkerung, von Millionen von Menschen in der Nachbarschaft jenseits des Mittelmeeres. Der Ukraine-Krieg und die desaströsen Konsequenzen für die globale Ernährungssicherheit sind eine Art Katalysator für ein bedeutendes Thema, das bis dato in der deutschen Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielte. Dabei wurde allzu lange die Realität verkannt, die die Mehrheit der Weltbevölkerung schon lange bitterlich zu spüren bekommt: die globale Ernährungssicherheit ist bedroht und die Lage droht sich immer weiter zuzuspitzen. Die Preise für Lebensmittel schießen in die Höhe. Das trifft besonders die ärmeren Teile der Bevölkerung, die ohnehin schon benachteiligt sind.

Die Not kommt nicht von ungefähr. Dass sich hinter den jetzt neu ins Bewusstsein drängenden Phänomenen ein strukturelles Problem verbirgt, weiß Dr. Martin Frick, Leiter des Berliner Büros des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP). Er fasst die Auslöser von steigenden Lebensmittelpreisen unter der Überschrift „Die drei großen C“ zusammen: „Conflict, Climate Change, Covid-19“.

Laut einem Bericht der Vereinten Nationen über die Auswirkungen von Covid-19 litten bereits vor Ausbruch der Pandemie weltweit mehr als 820 Millionen Menschen unter mangelnder Ernährungssicherheit. Doch beeinträchtigte Produktionskapazitäten, eingeschränkter Marktzugang, der Ausfall von Heimatüberweisungen von Arbeitsimmigranten und die steigende Arbeitslosigkeit zeitigten zusätzliche drastische Konsequenzen für Lebensmittelproduzenten und Landwirtschaftsbetriebe. Hinzu kam die generelle globale Rezession mit katastrophalen Auswirkungen: laut dem Welthungerindex 2021 der Welthungerhilfe werden mit jedem Prozentpunkt, um den das globale BIP schrumpft, 700.000 Kinder mehr an Wachstumshemmung leiden.

Der Klimawandel wird zur Plage

Die Ursachen für die kollabierenden Ernährungssysteme reichen über die Pandemie hinaus. Der Wandel des Klimas ruft Naturkatastrophen, Seuchen und Schädlingsplagen hervor. Hunger und Wasserknappheit führen zudem oftmals zu bewaffneten Konflikten. Laut einem Bericht der Weltbank könnte diese unselige Ursachenkette bis zum Jahre 2050 zu etwa 216 Millionen zusätzlichen Flüchtlingen führen. Das spüren hautnah und seit Jahren insbesondere die Bewohner der arabischen Welt: Laut einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind 141 Millionen Menschen der arabischen Region von Ernährungsunsicherheit betroffen. Das entspricht rund einem Drittel der Bevölkerung. Das Ausmaß des Hungers sei seit 2000 um 91,1 Prozent gestiegen.

Doch mittlerweile haben Regierungen, und auch private Initiativen begonnen, gegenzusteuern. Der Libanon etwa befindet sich am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruches. Und gleichwohl, vielleicht auch gerade deswegen, floriert dort die Agrartechnologie. Sie ist einer der wenigen Sektoren mit wirtschaftlichem Wachstum. Michael Bauer von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Beirut hat beobachtet, dass Selbstversorgerprojekte und Agrar-Start-Ups im Libanon aktuell einen Aufschwung erleben. Als Beispiel benennt er das vertikale Anbauprojekt, das der Umweltingenieur Ziad Abi Chaker ins Leben gerufen hat: die Flachdächer von Häusern in Beirut dienen hierbei als senkrechte Gemüsegärten.

Zudem plant und baut der Umweltingenieur vertikale Gemüsegärten, die sehr beliebt seien, weil sie auf Eigenanbau statt Exportabhängigkeit setzen. Innovativ wirkt auch die Initiative „Buzuruna Juzuruna“ (Unsere Samen, unsere Wurzeln), die alte Saatgutsorten zu erschwinglichen Preisen herstellt. Erschwingliches Saatgut beschäftigt mittlerweile nicht nur private Initiativen, sondern ebenso die Regierungen. Ägypten etwa fördert die heimische Produktion unter Anderem, indem es den einheimischen Bauern zertifiziertes Saatgut zur Verfügung stellt, das höhere Erträge liefert.

Ernährung wird Chefsache

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit Mariam bint Mohammed Almheiri die erste Ministerin für Ernährungssicherheit ernannt und dieses Thema so zur Chefsache erklärt. Die Emirate können mittlerweile mehrere richtungsweisende Projekte für Ernährungssicherheit vorweisen, wie etwa das „International Centre for Biosaline Agriculture (ICBA)“ in Dubai. Hier erforschen Wissenschaftler unter anderem „widerstandsfähige Superkulturen“, um Landwirten zu helfen, ihren Ertrag zu steigern. Das ICBA beschäftigt sich insbesondere mit den Herausforderungen des Salzgehaltes im Wasser und Wasserknappheit in Gebieten, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Es sucht Lösungen für den Anbau von salztoleranten Pflanzen oder dem Einsatz von Drohnen, die die Bodenbeschaffenheit beurteilen sollen.

Nutzpflanzen, die auch in heißen und trockenen Umgebungen gedeihen können, gelten als einer der Schlüssel zur Sicherstellung der Ernährung. Viele Hoffnungen ruhen hier auf Quinoa, dem Korn der Inkas: denn Quinoa kann einem höheren Salzgehalt und Trockenheit standhalten, während es nur die Hälfte des Wassers, das Weizen oder Gerste benötigen, braucht und überaus nahrhaft ist.

Ernährungs-Experten sehen in Quinoa ein erhebliches Potenzial für die weltweite Ernährungssicherstellung. Bisher machen Weizen, Mais und Reis 40 Prozent der weltweit konsumierten Kalorien aus. Die drei sind jedoch sämtlich wasserintensiv im Anbau, weswegen das Ausweichen auf alternative Kalorienquellen zwingend erscheint.

Reformen und neue Pflanzen

Die arabische Welt und ihre Regierungen wissen um die gravierenden Probleme, die mancherorts schon zu „Brotaufständen“ geführt haben. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt, dass die Region im Jahr 2050 voraussichtlich 600 Millionen Einwohner haben wird. Einige der Länder mit den niedrigsten Durchschnittseinkommen werden in den nächsten zwei Jahrzehnten das größte Bevölkerungswachstum verzeichnen, darunter Ägypten, Syrien, Jemen und Irak. Es ist unabdingbar, dass langfristig wirkende Änderungen eingeleitet werden.

Die Richtung ist klar: Einerseits müssen Agrarreformen tatkräftig angepackt werden; andererseits geht es um die bessere Informierung einer Bevölkerung, die sich falsch ernährt. Paradoxerweise steht die arabische Welt vor dem Problem der Unterernährung bei gleichzeitiger Übergewichtigkeit vieler Menschen. Mehr als ein Drittel der täglich verzehrten Kalorien in den arabischen Ländern stammen aus Weizen, was einerseits die Abhängigkeit der Region von Getreideimporten erhöht und andererseits eine vielfältige, gesunde Ernährung erschwert.

Bildungsprogramme über die Ernährung mit Grundnahrungsmitteln sollen darauf hinwirken, dass die Bevölkerung zu einer gesünderen Ernährung und Lebensweise übergeht – oder zurückkehrt. Eine der vielversprechendsten Möglichkeiten zum Umsteuern ist die Rückbesinnung auf ursprüngliche Pflanzensorten und die Nutzung der großen Biodiversität. Deswegen ist die Agrar-Forschung einer der Schlüssel zum Erfolg.

Es geht um die Entwicklung von Pflanzen, die an die regionalen Umwelt- und Klimabedingungen angepasst sind. Sie müssen resistent gegen Trockenheit, Salzgehalt und Natriumgehalt des Bodens sein. Ein verbessertes Wassermanagement ist mitentscheidend. Investitionen in wassersparende Bewässerungstechnologien und die Umstellung von wasserkonsumierenden Kulturen (wie Weizen) auf höherwertige Kulturen (wie Quinoa) sind realistische Optionen.

Hier ist auch die erfahre deutsche Agrarindustrie gefordert. Besonders im Bereich der Agrartechnologie bieten sich gute Möglichkeiten der Kooperation zwischen Deutschland und der arabischen Welt an. Global agierende deutsche Unternehmen wie Bayer oder BASF sind nicht wegzudenkende Größen beim Thema Ernährungssicherheit, auch im Nahen Osten. BASF etwa verfügt über ein umfassendes Portfolio an Fungiziden, Insektiziden, Herbiziden und Saatgut und unterstützt Landwirte somit dabei, ihre Erträge und die Qualität der Pflanzen zu steigern. Auch Bayer bietet innovative und nachhaltige Lösungen an; mithilfe einer umfassenden digitalen Plattform und verschiedenen Technologien soll die Branche transformiert werden, um die Ernährung einer wachsenden Bevölkerung langfristig und nachhaltig zu sichern.

Food-Tech-Valley

Doch die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft: erst letztes Jahr hat Dubai das sogenannte „Food Tech Valley“-Projekt angekündigt, eine „Stadt“ in der vertikale Landwirtschaft und andere fortschrittliche Agrartechnologien genutzt werden sollen, um die Ernährungssicherheit in den VAE zu verbessern. „Wir haben die erste Phase des Food Tech Valley eingeleitet, einer neuen modernen und pulsierenden Stadt, die als globales Ziel für Start-ups und Branchenexperten im Lebensmittel-Ökosystem dienen wird“, sagt Scheich Mohammed bin Rashid, Vizepräsident und Herrscher von Dubai.

Es wird erwartet, dass deutsche Agrar-Start-ups dem Ruf in den Wüstenstaat folgen werden, um die Zukunft der Ernährungssicherheit in der arabischen Welt mitzugestalten.