Wasserstoff ist ein Grundpfeiler der Energiewende zur Erreichung der Klimaziele. Doch der Markthochlauf des grünen Hoffnungsträgers erweist sich als zähe Angelegenheit. In Deutschland kommen die Projekte nicht voran, Abnahmeverträge sind Mangelware. Arabische Partner befürchten nach den massiven Vorleistungen in ihre H2-Infrastruktur schon „stranded investments“.

Die Ungeduld war der omanischen Botschafterin deutlich anzumerken. „Wir brauchen nicht noch mehr Verhandlungen. Es ist nicht mehr die Zeit für noch mehr Pläne. Wir müssen sie nun umsetzen!“ Maitha al Mahrouqi hatte sich das Business-Forum der Ghorfa in Berlin ausgesucht, um ihre Klage in Deutschland vorzutragen: Die „bestehenden Hindernisse bei der fehlenden Umsetzung müssten rasch beseitigt werden“, rief die Botschafterin den Anwesenden hochrangigen deutschen und arabischen Teilnehmern zu. Dazu gehöre, dass man sich gegenseitig mehr vertrauen und auch zutrauen müsse.

Womöglich liegt es auch am fehlenden Vertrauen liegt, wenn der dringend notwendige Markthochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft nicht wie im erhofften Tempo voranschreitet. Doch der Kern des Problems scheint in Europa selbst zu liegen. Allmählich schimmert auf, welch gigantische Veränderungen im Energiesystem notwendig sind, um die ambitionierten Ziele zu erreichen.

Deutschland will

  • 100 Prozent Erneuerbare Energien
  • wasserstofffähige Kraftwerke als Backup für „Dunkelflauten“ – wenn Sonne und Wind keine Energie liefern
  • lokale Flexibilisierung der Stromnachfrage
  • Flexibilisierung der Stromnachfrage der Industrie

Es sind nicht einfach nur Korrekturen am bestehenden System, die Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Ende Juli in Berlin als Marschroute der deutschen Energiewende vorstellte. Seine Strategie ist im Kern der „der vollständige Umbau der Energieversorgung“, und er „betrifft letztlich nahezu die gesamte Gesellschaft und Volkswirtschaft“, so heißt es in seinem Papier, das den Namen „Strommarktdesign der Zukunft“ trägt.

Eine größere Umwälzung der energetischen Grundlagen für das hoch industrialisierte Deutschland mit seinem enormen Energiebedarf hat es wohl seit Beginn der Industrialisierung nicht gegeben. Folgt man Habecks Vision, wird die deutsche Energiewirtschaft und mit ihr die Industrie vom Kopf auf die Füße gestellt – oder umgekehrt, je nach Sichtweise.

Die technologischen Voraussetzungen und vor allem die finanziellen Belastungen sind Herausforderungen von schier gigantischem Ausmaß. Alle Beteiligten halten erst einmal die Luft an; das Zögern auf deutscher Seite ist verständlich.

Die Bundesregierung weiß derweil, dass die nationale Wasserstoffstrategie höchst ambitioniert, aber ihre Umsetzung noch keinesfalls gesichert ist. Milliardeninvestitionen und Subventionen in Wasserstoffprojekte wurden angekündigt, um die Lücke zwischen Ziel und Realität zu schließen. Insgesamt sollen 4,6 Milliarden Euro von Bund und Ländern in 23 Projekte fließen, die sowohl die Erzeugung von grünem Wasserstoff als auch dessen Speicherung und Transport umfassen. Ein Teil der Fördermittel kommt von der EU, die Unternehmen selbst investieren zusätzlich 3,3 Milliarden Euro, wodurch ein Investitionsvolumen von etwa 7,9 Milliarden Euro bis 2030 entsteht. Und das ist erst der Anfang.

Basierend auf dem Antragsentwurf zum H2-Kernnetz der Fernnetzbetreiber (FNBs) vom November 2023 entstehen für den Aufbau des Netzes bis 2032 Investitionskosten in Höhe von 19,8 Mrd. Euro. Darüber hinaus sollen für die Ertüchtigung der bestehenden Gasverteilnetze für den Betrieb mit Wasserstoff weitere 4 Mrd. Euro bis 2045 anfallen. Unter Berücksichtigung der Kosten für die Instandhaltung des bestehenden Erdgasverteilnetzes, das laut DVGW größtenteils für den Wasserstoffbetrieb verwendet werden dürfte, fallen bis zum Jahr 2045 weitere 43 Mrd. Euro an.

Die Zeit drängt, die Klimaziele rücken näher. Europa und insbesondere Deutschland haben ambitionierte Pläne, doch die Umsetzung hinkt hinterher. Nach einer Analyse des EU-Rechnungshofs wird Europa seine Wasserstoffziele von zehn Millionen Tonnen erzeugtem und zehn Millionen Tonnen importiertem Wasserstoff bis 2030 wohl nicht erreichen. In Deutschland beträgt die aktuelle Elektrolysekapazität lediglich 153,7 Megawatt, was nur 1,5 Prozent des Zielwertes von zehn Gigawatt bis 2030 entspricht. Die erhebliche Diskrepanz zeigt, dass enorme Anstrengungen notwendig sind, um die Lücke zwischen Zielsetzung und tatsächlicher Umsetzung zu schließen.

Unlängst stellte Minister Habeck ein „Wasserstoffbeschleunigungsgesetz“ vor. Es soll die Planungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft flotter machen, unter anderem durch Digitalisierung.

Mit dem Gesetz sollen Elektrolyseure für die Wasserstoffherstellung und Terminals für den Import von Wasserstoff zügiger in Betrieb gehen. Infrastrukturvorhaben, die Wasserstoff erzeugen, speichern oder importieren, können damit schneller zugelassen und rechtlich als „im überragenden öffentlichen Interesse“ eingestuft werden. Kürzere Fristen etwa für wasserrechtliche und digitale Genehmigungsverfahren und Verfahren für die Vergabe von Projekten sollen den Ausbau zu beschleunigen.

Derweil hat die Bundesagentur „H2Global“ ihre erste Ausschreibungsrunde für grüne Wasserstoffderivate abgeschlossen. Ab 2027 werden rund 259.000 Tonnen grünes Ammoniak aus Ägypten importiert. Der Lieferant Fertiglobe, ein Unternehmen mit Hauptsitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, sagte einen Produktionspreis von 811 Euro pro Tonne Ammoniak zu.

Doch es drückt nur nicht bei der Umsetzung, sondern vor allem auch auf der Kostenseite. Experten haben berechnet, dass der Wasserstoffgehalt bei direktem Einsatz als Ersatz für Erdgas – alle Kosten etwa für den Transport, Aufspaltung in Wasserstoff und Verluste bei der Stromerzeugung – etwa neunmal so teuer ist wie der aktuelle durchschnittliche Strom. Damit es in der Industrie zum Einsatz kommen kann, sind weitere erhebliche Subventionen nötig. Die werden vom Stromkunden aufzubringen sein – oder als direkte Subvention vom Bund – also vom Steuerzahler.

Der nächste von Minister Habeck angekündigten Wasserstoffeinkauf in Höhe von 3,5 Milliarden Euro wird – Stand heute – Subventionen von rund 3,1 Milliarden € erfordern. Noch ungeklärt ist die Frage, wie dabei die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichergestellt werden kann. Die Planer erhoffen sich sinkende Preise durch Skaleneffekte: Kommt die Wasserstoffwirtschaft in Schwung, werden auch die Kosten für den grünen Energieträger sinken.

Arabische Länder wie Marokko, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und der Oman haben bedeutende Fortschritte bei der Entwicklung von Wasserstoffprojekten gemacht. Sie sind frühzeitig mit hohen Investitionen in Vorleistung gegangen, um eine führende Rolle im globalen Wasserstoffmarkt einzunehmen.

Die ägyptische Regierung plant, fünf bis acht Prozent des globalen Wasserstoffmarktes zu bedienen. Anreize wie Steuerrückerstattungen von bis zu 55 Prozent Umsatzsteuerbefreiungen auf Importe notwendiger Materialien und weitere regulatorische Erleichterungen sollen den Hochlauf der Industrie unterstützen. Ägypten vermeldet 27 Absichtserklärungen und zehn verbindliche Rahmenvereinbarungen für Wasserstoffprojekte mit einer kombinierten Kapazität von etwa 115 Gigawatt aus Wind- und Solarenergie.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde das weltweit erste kommerzielle Großprojekt für grünen Wasserstoff angekündigt, dass jährlich bis zu 200.000 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren soll. Dieses Projekt wird von der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) und dem Energiekonzern TAQA entwickelt. Es soll bis 2025 in Betrieb gehen.

Der Oman will die Produktionskapazität für grünen Wasserstoff bis 2030 auf jährlich eine Million Tonnen ausdehnen. In Planung sind eine Elektrolyseurleistung von 10 Gigawatt sowie Solar- und Windkraftwerke mit einer Kapazität von 20 Gigawatt erforderlich. Die jährliche Wasserstoffproduktion soll bis 2040 noch auf 3,5 Millionen Tonnen steigen und bis 2050 sogar auf 8 Millionen Tonnen. Der Wasserstoff soll teils zu einheimischen Produktion etwa von grünem Stahl verwendet werden. Die größten Mengen jedoch sind für den Export bestimmt. Für die Produktion der notwendigen Energie sind Solarkraftwerke im zweistelligen Gigawatt-Bereich geplant.

Trotz der Fortschritte bei der Energiewende in den traditionellen Industrieländern sehen die arabischen Staaten das Risiko eines „stranded investment“. Ohne „offtake“, wie die vertraglich gesicherte Abnahme des Wasserstoffs im Energie-Jargon heißt, könnten ihre Projekte unrentabel werden. Sie monieren, dass insbesondere europäische Abnehmerländer bis jetzt nicht im angekündigten Maße importieren wollen oder können. McKinsey hat beobachtet, dass die Anzahl der neuen Wasserstoffprojekte weltweit zurückgeht, wobei die durchschnittliche Größe einzelner Projekte zunimmt. Offenbar sind Investoren bei der Finanzierung vorsichtiger geworden und denken um.

Doch die EU ist nicht der einzige Markt für den neuen Energieträger. Japan und Südkorea investieren ebenfalls erheblich in Wasserstofftechnologien. Japan plant bis 2030 drei Millionen Tonnen Wasserstoff zu importieren. Südkorea investiert in die Wasserstoffwirtschaft und will bis 2040 auf 5,26 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr kommen.

Für Deutschland ist es bei der angespannten globalen Marktlage von zentraler Bedeutung, rechtzeitig langfristige Kooperationen zu sichern. Doch die Skepsis beim Blick auf die Preise und die schleppende Umsetzung der Wasserstoffstrategie hemmt den schnellen Zugriff. An aufmunternden Empfehlungen fehlt es nicht. So meint etwa Frank Wouters, Vorsitzender der MENA Hydrogen Alliance, dass es immer darauf an komme, ob man meine, das Glas sei halb voll oder halb leer. Aber, so Wouters: „Es gibt kein glaubwürdiges Szenario für eine wirklich saubere Energiezukunft ohne eine Menge Wasserstoff“.

Derweil erlebt die Nutzung von Gasturbinen eine unerwartete Renaissance. Siemens Energy berichtet von einer hohen Nachfrage nach Gasturbinen, die auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Diese Entwicklung wird auch durch die Pläne der Bundesregierung unterstützt, 12,5 Gigawatt neue Erzeugungskapazitäten durch Gaskraftwerke zu fördern. Sie sollen, gleichsam als flexible Einsatzreserve in Zeiten der „Dunkelflaute“ Strom produzieren.

Bereits jetzt sind viele Gasturbinen von Siemens Energy in der Lage, mit bis zu 30 Prozent Wasserstoffbeimischung zu arbeiten, was die Flexibilität und Zukunftsfähigkeit dieser Technologie unterstreicht.

Bei allem Zutrauen in die Wasserstoffwirtschaft: Gas wird bei der Energiewende auf nahe und mittlere Sicht unverzichtbar sein.

von: Jürgen Hogrefe, Raimund Reinecke