Der Krieg gegen die Ukraine beschleunigt den fundamentalen Umbau des deutschen Energiesystems. Die Regierung in Berlin wollte so schnell wie möglich auf Erneuerbare umsteigen. Nun soll schleunigst die Abhängigkeit von russischer Kohle, Öl und Gas erreicht werden. Nun kommen Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate ins Spiel: Als Lieferant von Flüssiggas und grünem Wasserstoff.
Unter normalen Umständen wäre der neue Minister für Wirtschaft und Klimaschutz gewiss nicht so kurz nach seiner Ernennung an den Golf gereist. Traditionell besucht ein neuer deutscher Wirtschaftsminister zunächst einmal seine Kollegen in der UE. Doch was ist schon normal in diesen Zeiten?
Überraschend und sehr kurzfristig lud Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) deutsche Unternehmen zu einer Delegationsreise nach Katar und die VAE ein. Sie richtete sich an Vorstände und Inhaber von Energieunternehmen. In Doha und Abu Dhabi wollte er – Ende März – die deutsche Wirtschaft zum Thema „Energie, insbesondere Wasserstoff und LNG“ mit örtlichen Entscheidungsträgern zusammenbringen.
Die Eile des Ministers ist verständlich. Die sichere Versorgung mit Energie ist zu einem zentralen Thema der deutschen Wirtschaft und der Politik geworden. Deutschland bezieht traditionell einen großen Teil seines Öls (aktuell rund 35 Prozent) und seines Erdgases (aktuell rund 50 Prozent) aus Russland. Zudem Kohle in erheblichem Umfang. Das galt nicht als problematisch. Im Gegenteil. In der Phase der „Neuen deutschen Ostpolitik“ nach der deutschen Wiedervereinigung war die Integration der russischen Wirtschaft in die EU unter dem Motto „Wandel durch Handel“ gewünscht und sogar forciert worden. Doch der russische Überfall auf die Ukraine änderte alles.
Schon Ende Januar, als sich die Ukraine-Krise zuspitzte und der Ruf nach einer größeren Unabhängigkeit von russischem Gas immer lauter wurde, hatte die EU in Brüssel den Kontakt nach Doha gesucht. Es kam – ungewöhnlich – zu einer Video-Schalte mit Katars Emir Tamim Bin Hamad Al-Thani. Für gewöhnlich ist Ursula von der Leyen eher kontrolliert, wenn sie sich öffentlich äußert. Diesmal jedoch klang ihr Tweet geradezu euphorisch: “Excellent call with HH Emir @TamimBinHamad on stepping up EU-Qatar partnership, including on energy.”
In dem Gespräch mit dem Emir hatte die EU-Kommissionspräsidentin vorgetragen, dass es eine „zunehmende Beweislast“ gebe, dass der Kreml seine Gaslieferungen „als politisches Druckmittel nützen wolle. Es sei „wichtig, die sichere Versorgung Europas mit Energie mit allen verlässlichen Partnern zu stärken“, so die EU-Kommissionspräsidentin. Da erscheint Katar wie ein Hoffnungsträger auf mehr Sicherheit.
Katar ist weltweit der größte Hersteller und Exporteur von Flüssiggas (LNG) mit gut 77 Millionen Tonnen pro Jahr (mtpa), mittlerweile gefolgt von den USA, die ihr Flüssiggas mit dem von Umweltschützern kritisierten Fracking-Verfahren aus Schiefergestein gewinnen. Die USA hatten zuletzt ihre LNG-Exporte mit gut 7 Millionen Tonnen erheblich ausgeweitet, die Hälfte davon ging nach Europa. Doch so gern die USA Russland als Hauptlieferanten vom europäischen Markt verdrängen würden – die heimische Produktionskapazität reicht nicht aus.
Kurz nach dem Video-Call mit von der Leyen hatte sich Katars Emir Tamim bin Hamad Al-Thani persönlich mit US-Präsident Joe Biden in Washington getroffen, um Planungen durchzusprechen, wie Europa bei einem Wegfall der russischen Gasexporte versorgt werden könnte. Thema war, ob und wie Katar das russische Erdgas durch LNG-Exporte zumindest teilweise ersetzen kann.
Die Vorstellung war, dass Schiffe mit Flüssiggas aus Katar statt Ostasien anzusteuern flugs nach Europa umdirigiert werden. So informierte Ursula von der Leyen darüber, dass Europa mittlerweile „mit wichtigen Flüssiggas-Importeuren wie Japan und Südkorea ausgehandelt“ habe, dass diese der EU eigene Bestellungen zur Verfügung stellten. Schon im Januar habe die EU dank dieser Bemühungen mit rund zehn Billionen Kubikmetern eine Rekordmenge Flüssiggas importiert, gab von der Leyen bekannt.
Wenig später wurde bekannt, dass der auslaufende, auf 25 Jahre angelegte Liefervertrag von LNG für den japanischen Energieversorger JERA nicht verlängert würde. Katars Energieminister Saad Sherida Al-Kaabi versicherte der EU-Energiekommissarin Kadri Simson im Anschluss an den Besuch des Emirs von Katar in Washington, dass Katar bereit sei, „seine Partner in der ganzen Welt in Zeiten der Not zu unterstützen“. Kurz darauf wurde vermeldet, dass die Generaldirektion der EU-Kommission eine ursprünglich angestrebte Kartellrechtsermittlung gegen Qatar Energy nicht weiterverfolgt. Die waren nach Auffassung von Beobachtern in Brüssel 2018 eröffnet worden, um den Zugang zum europäischen Markt zu erschweren.
Die Weichen für eine enge Kooperation der EU und Deutschlands mit Katar sind gestellt. Doch die Frage ist, wann und wie das machbar ist – und zu welchen Kosten. Katar exportiert sein Gas in flüssiger Form in Tankern. Liquefied Natural Gas (LNG) ist Erdgas, das durch ein aufwändiges Kühlverfahren auf das Verhältnis 1:600 verflüssigt wird. So wird das Gas unabhängig von Pipelines transportabel. Doch um es in Europa in die Gasnetze pumpen zu können, werden hierzulande Terminals zur Re-Gasifizierung benötigt. Das Handelsblatt hat errechnet, dass allein Deutschland 630 Tankerlieferungen LNG bräuchte, um seinen jährlichen Gasbedarf (Stand 2020) zu decken. Zudem ist die Logistik nicht ohne Probleme: Die Havarie des Containerschiffes Evergiven im Suezkanal hat die Anfälligkeit der Schifffahrt drastisch vor Augen geführt.
Katar hat derweil bekannt gegeben, dass es seine Exportfähigkeit erheblich ausweiten will. Für rund 25 Milliarden EURO soll das North Field erschlossen werden, eines der größten Gasfelder der Welt. Dadurch erhöht sich die Fördermenge auf bis zu 142 Millionen Tonnen jährlich. In Korea und China wurden neue, riesige LNG-Tankschiffe geordert. Bleibt die Frage nach den Möglichkeiten zur Anlandung in Deutschland. Darüber wird indes seit langem nachgedacht.
Schon im November letzten Jahres hatte der Emir Tamim der damaligen Bundeskanzlerin Merkel am Telefon zugesagt, für Deutschlands Energiesicherheit einzustehen. Katar sehe sich „als aufrichtiger Partner Deutschlands“. In seinem Telefonat mit Kanzlerin Merkel hatte Katars Emir Tamim betont, dass der staatliche Energiekonzern Qatar Petroleum auch bereit sei, „am Bau und der Finanzierung eines Flüssiggas-Terminals an der Elbe“ mitzuwirken.
Mittlerweile hatten auch Bündnis 90/ Die Grünen erkennen müssen, dass die Energiewende in der EU und in Deutschland ganz ohne Gas als Brückentechnologie nicht gelingen kann. Kürzlich sich denn auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) „aus geopolitischen Gründen“ ausdrücklich dafür ausgesprochen, den Bau von LNG-Terminals in Deutschland voranzutreiben. Der Hafen von Brunsbüttel., so Habeck, komme dafür durchaus infrage. In Brunsbüttel sei der Bau eines LNG-Terminals bereits in Planung. Es wäre das erste Terminal seiner Art auf deutschem Boden. Als weiterer Standort käme das niedersächsische Wilhelmshaven infrage.
Eine Ausweitung der katarischen LNG-Importe birgt auch nicht-monetäre Vorteile für Katar, das sein positives Image als Tourismusziel und Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 unterstreichen kann. Sollte Katar sich als verlässlicher Energielieferant etablieren und zur europäischen Energiesicherheit beitragen, würde das Land auch in einer bereiteren Öffentlichkeit als ein unentbehrlicher Verbündeter Europas und Deutschlands am Golf angesehen.
Davon sind die USA sind schon längst überzeugt. Präsident Joe Biden hat Katar Anfang Februar zum MNNA geadelt – ein „Major Non NATO Ally“. Diese Bezeichnung erhalten nur die wichtigsten geostrategischen Verbündeten. Schon bei der Rückholung von Tausenden Deutschen aus ihren Urlaubszielen zu Beginn der Pandemie hatte sich die staatliche Fluglinie Qatar Airways den Respekt der Bundesregierung erworben. Auch bei der raschen Rückholung der Ausländer aus Afghanistan war die Airline aus Doha durch ein rasches, unkompliziertes Agieren aufgefallen.
Nach einem Treffen mit Sheikh Tamim Bin Hamad Al- Thani, dem Emir von Katar, verkündete denn Robert Habeck auch die Etablierung einer langfristig angelegten Energiepartnerschaft zum gegenseitigen Vorteil. Katar solle weit mehr sein als „ein Lückenbüßer für eine verfehlte Energiepolitik in der Vergangenheit.“
Seit längerem gelten die Vereinigten Arabischen Emirate als ein Hoffnungsträger für die deutsche Energiezukunft. Die VAE treiben seit vielen Jahren ihren Umstieg vom Ölexporteur zum Trendsetter für Erneuerbare Energie voran. Mit Masdar City war vor rund 15 Jahren eine erste energieoptimierte Stadt der Zukunft angegangen worden. Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien IRNA hat in Masdar ihren Stammsitz. Ende vergangenen Jahres waren in den VAE rund 2,7 Gigawatt an Erneuerbaren installiert. Demnächst soll in Dubai mit DEWA IV ein 950 MW-Solarkraftwerk an Netz gehen. Mit einer innovativen Technologie, zu der auch ein Speichersystem gehört, das bis zu 15 Stunden die Wärme aus solarer Energiegewinnung in das Netz einspeisen kann. Schon die Vorgänger-Regierung hatte mit den Vereinigten Arabischen Emiraten einer Energiepartnerschaft etabliert und in diesem Rahmen eine „Wasserstoff-Taskforce“ eingerichtet. Deutsche und emiratische Firmen arbeiten seit Längerem gemeinsam an mehreren H2-Projekten. Die Taskforce wird von einer hochrangigen Steuerungsgruppe gelenkt. Das erste Elektrolyseprojekt der arabischen Welt für grünen Wasserstoff wurde bereits im Mai vergangenen Jahres in Dubai eingeweiht. Es wird gemeinsam von Siemens Energy und Dubai-Electricity & Water Authority (DEWA) getragen. Weitere Projekte für grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe sind in Planung.
Die Mubadala Investment Company, die Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC) und die Holding ADQ haben unterdes die Unterzeichnung einer Absichtserklärung zur Gründung der Abu Dhabi Hydrogen Alliance bekannt gegeben. Zu dem Bündnis gehören auch die Abu Dhabi Ports, Abu Dhabi Airports, Etihad Rail, Etihad Steel, Abu Dhabi National Energy Company (TAQA) und Emirates Nuclear Energy Corporation (ENEC). Mubadala, Siemens Energy und die Lufthansa arbeiten gemeinsam an einem Projekt namens „Green Falcon“ zu Herstellung von grünem Kerosin für die Luftfahrt.
Ziel der Partnerschaft ist es, eine starke Wasserstoffwirtschaft in den VAE aufzubauen; womöglich soll in Zukunft mehr Wasserstoff als Öl aus den Emiraten exportiert werden. Dafür soll eine Roadmap entwickelt werden. Der Fokus liegt auf Energieversorgung, Mobilität und Industrie. Hier setzt man auf starke ausländische Partner mit entsprechendem technischem Know-how. Deutsche Firmen genießen am Golf nach wie vor einen guten Ruf. Auch der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck meint, dass sich am Golf durchaus gute Chancen für deutsche Unternehmen bieten.
Das Potential der Region spiegeln auch die jüngsten Abmachungen zwischen den beiden Ländern wider, die im Rahmen des Besuches von Minister Habeck in den VAE am 21. März beschlossen wurden. Dabei handelt es sich um vier Wasserstoffkooperationen sowie eine Forschungskooperation. Bereits in diesem Jahr wollen die VAE erste Wasserstofflieferungen nach Deutschland ermöglichen.
Die Kooperationsabkommen kommentierte Minister Habeck äußerst positiv mit den Worten: „Der beschleunigte Ausbau von Wasserstoffversorgungsketten ist ein ganz zentraler Schlüssel für den Übergang zu nachhaltiger Energie.“ Er begrüße die geplante Zusammenarbeit der deutschen und emiratischen Unternehmen sowie die Forschungskooperation von Fraunhofer mit dem Energieministerium der Vereinigten Arabischen Emirate. Insbesondere bei der Erzeugung, der Speicherung und dem Transport von grünem Wasserstoff in den VAE und dem Import und der Anwendung in Deutschland, gebe es einen großen Bedarf an Forschung und direkter Umsetzung. Minister Habeck: „Die heutigen Kooperationen leisten damit einen zweifachen Beitrag: sie stärken die Erreichung unserer Klimaziele und zugleich unsere Energiesicherheit.“
von Jürgen Hogrefe