Mit dem „Global Gateway“- Programm will die Europäische Union Chinas globales Projekt „Neue Seidenstraße“ kontern. Die EU will über den wirtschaftlichen Erfolg hinaus als eine nachhaltige und wertebasierte Alternative gelten. Die arabischen Ländern Nordafrikas spielen in diesem milliardenschweren EU-Programm eine wichtige Rolle.
Über sein Programm „Global Gateway“ will die EU bis 2027 stolze 300 Milliarden EURO weltweit investieren. Die Schwerpunkte sollen dabei auf den Sektoren Verkehr, Energie, Kommunikation, sowie Gesundheit, Bildung und Forschung liegen. Ein zentraler Pfeiler des Global Gateway ist die Afrika-Initiative, um multimodale Transportnetzwerke in der EU und Afrika bis 2030 zu verknüpfen. Mit bis zu 150 Milliarden EURO soll einen nachhaltiger und integrativer Handels- und Wirtschaftsraum geschaffen werden. Gleichzeitig – und verbunden damit – will die EU die europäischen Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Partnerländern fördern.
Die Ziele sind hoch gesteckt: „Global Gateway“ soll in der MENA-Region für „eine neue Ära der Kooperation und des Fortschritts“ sorgen, wie es in Brüssel heißt. Die Liste der bisherigen Projekte – allesamt sorgfältig ausgewählte Vorhaben – zeigt auf, was genau die EU vorhat: Sie will durch Investitionen in strategische Infrastrukturprojekte vor allem die Konnektivität zwischen den Kontinenten erhöhen.
So soll das immense Energiepotenzial der Region genutzt werden, das sich bei den erneuerbaren Energien und der Produktion von Wasserstoff künftig ergibt. Beides benötigen die EU-Länder zu ihrer geplanten Energietransformation zwingend. Die MENA-Region soll zu einem zentralen Knotenpunkt in einem global vernetzten System entwickelt werden, in dem erneuerbare und klimaneutrale Energiequellen eine zentrale Rolle spielen.
Ein Schlüsselelement dabei sind die Stromverbindungen durch das Mittelmeer, die Nordafrika mit Europa verbinden. Die ELMED-Interkonnektion zwischen Italien und Tunesien beispielsweise und das GREGY-Projekt, das eine Hochspannungselektrizitätsverbindung im östlichen Mittelmeer zwischen Europa und Afrika herstellt, sind Vorzeigeprojekte in diesem Zusammenhang.
Ein anderer Schwerpunkt ist der Austausch von Daten in großen Volumina über lange Strecken. So wird gegenwärtig daran gearbeitet, das MEDUSA-Unterwasser-Datenkabel über 8760 Kilometer quer durch das Mittelmeer von Portugal bis Port Said zu verlegen. Es soll ab Ende 2024 Südeuropa und Nordafrika datentechnisch besser miteinander verbinden. Projekte, die in diese Vision passen, erhalten eine kräftige Finanzspritze der EU.
„Mit Global Gateway hat die EU endlich eine Strategie zur Bereitstellung von Infrastruktur in Afrika“, heißt es bei der GTAI, der Außenwirtschafts-Agentur der Bundesrepublik in Berlin. „Global Gateway“ könne die Risiken für europäische Unternehmen reduzieren und so die europäische Präsenz auf den afrikanischen Märkten erhöhen. Die GTAI als nachgeordnete Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums begleitet Vorhaben im Rahmen von „Global Gateway“. Teilnehmer des Programms begrüßen, dass mit „Global Gateway“ die EU endlich eine koordinierte Strategie der EU-Länder zur Bereitstellung von Infrastruktur in Afrika vorhanden sei.
Zuschüsse und Darlehen
Norman Albi, der Chef des Kabelunternehmens AFR-IX telecom, das das MEDUSA-Kabel im Mittelmeer projektiert hat, kommt geradezu ins Schwärmen: „Global Gateway ist für europäische Firmen eine echte Neuerung, denn es bietet ihnen die Zuschüsse, Darlehen und Investitionsgarantien, die sie für die Durchführung ihrer Projekte in Afrika oder in anderen risikoreicheren Schwellenländern brauchen. Neben der finanziellen Unterstützung profitieren die Unternehmen aber auch von mehr Sichtbarkeit und gegebenenfalls von politischem Rückhalt für ihre Präsenz im Ausland.“
Kabelförderung auch andernorts: Mauretanien wird mit EU-Mitteln an das Glasfaser-Unterseekable EllaLink angeschlossen, das Europa zurzeit mit Südamerika verbindet.
Eine offizielle Liste von Pilotprojekten weist Vorhaben im Rahmen der EU-Strategie in Ägypten, Jordanien, Tunesien und Marokko auf. Darunter sind Abfall- und Abwasserprojekte, die Produktion von Methanol für den Schiffsverkehr und die Investition in die Energieeffizienz von Gebäuden. Für Jordanien stellt die Europäische Investitionsbank (EIB) 200 Millionen Euro für das Aqaba-Amman Water Desalination and Conveyance Project (AAWDCP) bereit – als erste Finanzierung für das größte Wasserprojekt des Landes aller Zeiten.
Wasser für Amman
Mit dem Darlehen wird Jordanien einen Teil seines Beitrags von 250 Millionen Jordan-Dinar zu dem Klimaanpassungsvorhaben finanzieren. Das Projekt soll das Land mit zusätzlich 300 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr versorgen, die nach der Entsalzung von Meerwasser am Golf von Aqaba in die Hauptstadt Amman und die anderen Provinzen befördert werden.
Projekte im Bereich der Abfall- und Wasserwirtschaft nehmen tendenziell zu, heißt es bei der GTAI in Berlin. Von immenser Bedeutung jedoch werden Investitionen in die logistische Infrastruktur bleiben, in die China mit seiner Seidenstraßen-Initiative seit vielen Jahren in erheblichem Umfang investiert.
Im Irak wird gegenwärtig das Großprojekt des Tiefseehafens „Grand Faw Port“ realisiert. Es soll einen Anschluss an das Schienennetz der Seidenstraße aus dem Iran, resp. der Türkei bieten. Es ist jedoch auch daran gedacht, den Hafen mit dem Schienennetz der arabischen Ländern am Golf (GCC) zu verbinden, an dem seit langem geplant wird. Dieses Projekt wird von irakischer Seite als Alternative zum Suezkanal gesehen – aber tendenziell zur Neuen Seidenstraße der Chinesen, die im Zweistromland sehr aktiv akquirieren.
Auch Saudi-Arabien, das von China stark umworben wird, arbeitet an Alternativen zu den gewohnten Transportrouten. So investiert Riad massiv in den Ausbau seiner „Saudi-Landbridge“, einer 945 Kilometer langen Bahnverbindung zwischen dem arabischen Golf und dem Roten Meer. Diese Pläne haben nach den Attacken der jemenitischen Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer an Bedeutung gewonnen.
Angesichts der Attacken auch auf ihre Schiffe im Roten Meer hat Deutschlands größte Containerreederei Hapag-Lloyd ihren Kunden einen Transitdienst quer durch Saudi-Arabien angeboten. Die Hamburger Reederei teilte teilte ihren Kunden mit , dass Landverkehrskorridore drei Häfen am Persischen Golf mit dem Hafen Jeddah am Roten Meer verbinden sollen. Jeddah liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen der Meerenge Bab al- Mandab vor dem Jemen, von wo aus Huthi-Milizen Schiffe angegriffen haben und dem Suezkanal. Am Golf sind die beteiligten Umschlagplätze Al-Jubail und Dammam in Saudi- Arabien, sowie der Hafen Jebel Ali in Dubai.
EU-Investitionen in Hafenanlagen sind von geostrategisch herausragender Bedeutung für das Engagement der EU in der Region. Investitionen wie die in TangerMed, dem hochmodernen Hafen von Marokko an der Straße von Gibraltar, sind nicht nur für den lokalen Handel und die Wirtschaft von Bedeutung, sie bieten auch deutschen und anderen europäischen Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten und Zugang zu neuen Märkten.
Die Frage ist, ob das „ Global Gateway“ Projekt als eine gleichwertige Initiative neben der chinesischen Neuen Seidenstraße bestehen kann. Oder ist sie eher eine Reaktion auf eine Lücke in der globalen Infrastrukturpolitik, die China bereits zu füllen begonnen hat – wie mancherorts sorgenvoll geurteilt wird?
Erfolgreich wie China?
„Wir müssen uns fragen, warum China in Afrika so erfolgreich Geschäfte macht, während wir Europäer das offensichtlich nicht tun“, sagt Kabel-Unternehmer Norman Albi in einem Interview mit einem GTAI-News-Dienst. „Aus meiner Sicht müssten die europäischen Unternehmen raus aus ihrer Komfortzone und wieder eine gesunde Risikobereitschaft entwickeln. Unsere europäische Mentalität muss sich ändern – und Global Gateway ist ein wichtiges Zeichen für diese neue Einstellung zu Afrika.“
China hat indes längst Fakten geschaffen. Die Neue Seidenstraße, von China seit 2013 unter der Bezeichnung Belt and Road Initiative (BRI) vorangetrieben, umfasst Infrastrukturprojekte, die Europa, Asien und Teile Afrikas durch verschiedene Verkehrskorridore verbinden. Die BRI hat seit ihrer Implementierung im Jahr 2013 über 1000 Milliarden USD in mehr als 70 Länder investiert. Zu den Projekten gehören insbesondere der Ausbau von Seehäfen, Containerterminals, Bahn- und Straßenrouten. Im italienischen Triest rollen zurzeit jährlich rund 10 000 Güterzüge mit chinesischer Ware an.
In der MENA-Region zeigt sich dabei zuletzt ein strategischer Wandel in Chinas Engagement. Statt der bisherigen Fokussierung auf Verkehrs- und Infrastrukturprojekte verlagert sich das Interesse zunehmend auf Energie. So plant China Investitionen in Höhe von 17 Milliarden USDollar in Ägyptens Energie-, Wasserstoff- und Düngemittelproduktion. Das unterstreicht die steigende Bedeutung Ägyptens als zentraler Hub für die BRI: China betrachtet Ägypten nicht mehr nur als Durchgangsroute für den Handel.
Menchen- und Frauenrechte
Die EU und China verfolgen in ihren internationalen Infrastrukturprojekten sehr unterschiedliche Philosophien. Die werden im Hinblick auf Menschenrechte, Governance und finanzielle Nachhaltigkeit besonders sichtbar. Die EU knüpft ihre Investitionen als Teil des Global Gateway an Fortschritte bei Menschen- und insbesondere Frauenrechten. Diese konditionierte Herangehensweise reflektiert das Bestreben der EU, universelle Werte zu fördern und resilientere gesellschaftliche Strukturen in Partnerländern zu unterstützen.
Im Gegensatz dazu steht Chinas pragmatische Geschäftsführung, die ohne derartige Anforderungen auskommt. Diese Politik des sogenannten „No-strings-attached“ wird von einigen Partnerländern auch im arabischen Raum als Anerkennung ihrer eigenen Werte und ihrer Souveränität gewertet. Jedoch hat Chinas Ansatz auch Kritik hervorgerufen. So haftet Peking der Vorwurf der „Debt Trap Diplomacy“ an. In vielen Fällen haben die Schuldnerländer langfristig untragbare Kredite für große Infrastrukturprojekte annehmen müssen, was China unverhältnismäßigen politischen Einfluss in diesen Ländern verschaffen kann.
Zudem sind hohe Kosten und die Frage der Rentabilität ein Kritikpunkt an einigen BRI-Projekten, wie etwa Hochgeschwindigkeitsbahnen. Sowohl in China als auch in anderen Ländern haben sich derartige Schienenprojekte als finanziell herausfordernd erwiesen, da die hohen Investitions- und Betriebskosten oft nicht durch die Einnahmen gedeckt werden können. Diese finanzielle Belastung erhöht das Risiko von Schuldenfallen und stellt die wirtschaftliche Lebensfähigkeit dieser Projekte in Frage.
Robustes Netzwerk
Die Herausforderungen, denen sich der „Global Gateway“ der EU gegenüber der chinesischen Neuen Seidenstraße gegenübersieht, sind vielschichtig. Einerseits muss die EU sicherstellen, dass ihre Investitionen und die damit verbundenen Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht als neokolonialistische Einmischung empfunden werden, sondern vielmehr als echte Partnerschaften, die zum gegenseitigen Nutzen führen.
Andererseits hat China mit seiner pragmatischen und bedingungsfreien Herangehensweise eine rasche Expansion seiner Projekte erreicht und wichtige strategische Positionen, insbesondere in Asien und Afrika, bereits gesichert. Die chinesischen Investitionen werden dort oft als willkommene Alternativen zu den traditionell westlich dominierten Finanzinstitutionen gesehen. Die Neue Seidenstraße hat sich mittlerweile als robustes Netzwerk erwiesen, das selbst in Zeiten globaler Unsicherheiten wie der COVID-Pandemie und geopolitischer Konflikte an Bedeutung gewonnen hat.
Womöglich muss die EU ihre internationale Infrastrukturpolitik neu justieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben und ihre Präsenz in Schlüsselregionen zu stärken. Dazu könnten eine flexiblere Handhabung von Förderbedingungen und eine verstärkte Zusammenarbeit mit lokalen Partnern gehören – um so mit maßgeschneiderten Lösungen zu entwickeln, die lokale Bedürfnisse und globale Standards vereinen. Darüber hinaus wird es entscheidend sein, transparente und inklusive Governance-Strukturen zu schaffen, die das Vertrauen der Partnerländer stärken und die Nachhaltigkeit der Projekte gewährleisten.
Beide Projekte sehen sich aktuell geopolitischen Krisen ausgesetzt. In sensiblen Regionen wie dem Golf, dem Roten Meer und dem Suezkanal wird deutlich, wie sehr beide auf Stabilität angewiesen sind. Diese strategischen Knotenpunkte im arabischen Raum sind für den gesamten Welthandel von essenzieller Bedeutung. Ihre Sicherheit ist für die Aufrechterhaltung und Effizienz der Handelsrouten unerlässlich.
Für deutsche Unternehmen, die traditionell stark im Export sind, bieten beide Initiativen bedeutende Chancen, aber auch Herausforderungen. Der „Global Gateway“ der EU kann als Plattform für deutsche Technologien und Investitionen dienen, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien und der Infrastruktur. Er ist das Angebot an Unternehmen, mit Zuversicht in den arabischen Wirtschaftsraum zu investieren, der nur durch wirtschaftlichen Aufschwung langfristig stabilisiert werden kann. Als unsere Nachbarregion im Süden haben wir daran ein erhebliches Interesse.
von Raimund Reinecke