„Der Wandel in Saudi-Arabien hat sich sehr spürbar beschleunigt. Überall sieht man in der Verwaltung jetzt neue junge Gesichter in den Führungsetagen, die in westlichen Managementkultur ausgebildet wurden.“ So bilanzierte Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister a.D. und Präsident der Ghorfa, die Erfahrungen, die er bei der Delegationsreise nach Saudi-Arabien gemacht hat, begleitet von 25 Vertretern großer deutscher Unternehmen, sowie aus dem Mittelstand.

Die Ghorfa Arab-German Chamber of Commerce and Industry hatte die Reise organisiert in Zusammenarbeit mit dem Council of Saudi Chambers, der Riyadh Chamber of Commerce, der Jeddah Chamber of Commerce, der saudischen Botschaft in Berlin, sowie der deutschen Botschaft in Riad und dem German-Saudi Liaison Office for Economic Affairs. Drei Tage verbrachte die Delegation in Riad, an einem weiteren Tag informierten sich die Teilnehmer über wirtschaftliche Möglichkeiten in Dschidda. Neben B2B-Gesprächen mit saudischen Unternehmensvertretern, standen vor allem auch Treffen in verschiedenen Ministerien der Hauptstadt Riad auf dem Programm, sowie der Besuch kultureller Einrichtungen.

Die Reise fiel in eine Zeit, in welcher der Wandel in dem Land weltweit diskutiert wird. Im April dieses Jahres hatte das Königreich die „Saudi Vision 2030“ ins Leben gerufen, im Juli folgte der National Transformation Plan. In allen Sektoren sind seither große Änderungen spürbar, aber auch Herausforderungen zu sehen. Beides kam in den Gesprächen mit Ministern und CEOs offen zur Sprache. Detailliert gaben die saudischen Verantwortlichen Auskunft und bauten dabei auch Vorurteile ab.

„Die Delegationsreise war eine intensive Woche, die meine Bild von Saudi-Arabien vom Kopf auf die Füße gestellt hat“, erklärte San Ra Weckert von der Braintree Academy nach der Reise und fügte hinzu: „Ich habe zum Beispiel eine junge Frau in einem Deutschkurs einen freien Vortrag über Goethe halten sehen, vor einer Klasse, die gemischt unterrichtet wurde. Von Qualität des Referats und vor allem von dem Selbstbewusstsein dieses saudischen Mädchen kann so mancher deutsche Schüler nur träumen.“

Dass Veränderung in der Luft liegt, merkten die Teilnehmer schon bei der Begrüßung durch den deutschen Botschafter Dieter Haller. Noch im Hotel gab Botschafter Haller eine Einführung zur aktuellen Lage des Königreiches. Dabei sind die Beziehungen zwischen den Ländern traditionell gut, was sich auch in der wirtschaftlichen Bilanz niederschlage. Allein im vergangenen Jahr sind die deutschen Exporte nach Saudi-Arabien um 12,3 Prozent auf fast 10 Mrd. Euro gewachsen. Der Botschafter verwies aber auch darauf, dass nicht nur wirtschaftlich Neuerungen zu erkennen seien. Auch gesellschaftlich würde sich das Königreich zunehmend öffnen.

Bei dem anschließenden Termin in der Riyadh Chamber of Commerce and Industry ging es zunächst weniger um die gesellschaftlichen Entwicklungen als vielmehr darum, die deutsch-arabischen Wirtschaftsbeziehungen zu stärken. Zahlreiche saudische Unternehmer waren von der saudischen Handelskammer eingeladen worden, um in B2B-Gesprächen Kontakte mit den deutschen Unternehmensvertretern zu knüpfen. Mehr als 30 saudische Unternehmer und Unternehmerinnen waren dem Aufruf der Kammer gefolgt, sodass ein reger Austausch entstand, Kontakte geknüpft und mögliche Geschäfte besprochen werden konnten. Auch in Dschidda stand ein Besuch mit B2B-Gesprächen bei der Jeddah Chamber of Commerce auf dem Programm.

Dass Kooperationen mit lokalen Unternehmen auf regionaler Ebene sehr gefragt sind, zeigte sich genauso bei den Treffen in den Stadtverwaltungen von Riad und Dschidda. Sowohl der Bürgermeister von Riad, Ibrahim Mohammed Al-Sultan, als auch der Bürgermeister von Dschidda, Dr. Mohammad Aburas, begrüßten die Delegation und gaben eine Einführung in die wirtschaftlichen Entwicklungen der Städte.

Gesundheitssektor

Aber auch zahlreiche Termine auf nationaler Verwaltungsebene standen auf dem Programm. So bekamen die Teilnehmer beispielsweise bei dem Gespräch mit Dr. Abdullah Al Akmari, Assistant Deputy Minister im Gesundheitsministerium, Hinweise für mögliche Geschäfte. Die Chancen dafür sind im Gesundheitssektor groß. Laut der Saudi Vision 2030 soll die Lebenserwartung von derzeit 74 auf 80 Jahre in erhöht werden. Angesichts dessen, dass die saudische Bevölkerung derzeit um 2,5 Prozent jährlich wächst, erwarten die Analysten, dass der Gesundheitssektor in den kommenden Jahren ein wichtiger Schlüsselmarkt sein wird. Jährlich werde der Markt um 11 Prozent auf mehr als 27 Mrd. Dollar im Jahr 2020 anwachsen, heißt es in der von Alpen Capital zuletzt veröffentlichten Studie.

Der niedrige Ölpreis geht jedoch auch an dieser Branche nicht spurlos vorüber. Nachdem zuletzt einige große staatliche Projekte ausgesetzt wurden, setzt das Ministerium nun verstärkt auf die Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor. Das birgt auch für deutsche Unternehmen große Möglichkeiten, wie in dem Gespräch deutlich wurde. Vor allem in den Bereichen Medizintechnik und Pharmazeutik seien die Möglichkeiten für deutsche Unternehmen groß.

Energie

Das gilt auch für den Energie-Sektor. Nach einem tiefgreifenden Vortrag über die saudische Stromerzeugung, sowie das Stromnetz durch Ziyad bin Mohammed Alshiha, Präsident und CEO der Saudi Electricity Company, hatten die Teilnehmer der Delegation die Möglichkeit mit den saudischen Verantwortlichen wertvolle Geschäftsmöglichkeiten auszuloten. Dabei zeigte sich, dass es großen Bedarf für deutsches Know-how und Technologie in dem Königreich gibt, was sich außerdem beim Gespräch mit Mr. Naif al-Otaibi, Vize-Minister für Energie, Industrie und Ressourcen, bestätigte. In dem Königreich soll bis 2024 eine zusätzliche Leistung von 47.000 MW an Strom geschaffen werden. Dabei spielen auch die erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle. Denn laut der Saudi Vision 2030 und dem National Transformation Plan soll der Energiemix grundlegend diversifiziert werden. Zusätzliche 3.500 MW sollen bis 2020 aus erneuerbaren Energiequellen stammen.

Tourismus Al-Dirriyah

Auch im Tourismus-Sektor zeigten sich die großen Potenziale des Landes den Teilnehmern. Bei einem Besuch des historischen Stadtteils Al-Dirriyah am Abend des ersten Tages wurde deutlich, wie sehr das Königreich das kulturelle Erbe hervorhebt. Aber nicht nur mit weiteren UNESCO-Welterbestätten, wie Al-Diriyah, sollen Touristen angelockt werden.

Eine maßgebliche Rolle spielt insbesondere der religiöse Tourismus. Dessen Anteil an den internationalen Besuchern liegt bei mehr als 40 Prozent. Mit großem Tempo werden derzeit Hotels in dem Königreich gebaut. Die Zahl der Hotelzimmer nach einer Prognose von Alpen Capital von derzeit 281.000 auf 311.500 in 2020 zunehmen. Insgesamt wurden im Jahr 2015 19,2 Mio. internationale Touristenankünfte registriert. Bis 2020 soll die Zahl auf 24,3 Mio. zunehmen.

Um diese Vorgaben zu schaffen sind aber auch Investitionen in die Infrastruktur notwendig, wie sich bei dem Treffen mit dem Vize-Minister für Transport, Faisal Al-Ghamdi, zeigte. So werden derzeit insbesondere die Flughäfen in Riad und Dschidda erweitert. Dabei spielen die Flughäfen, wie auch die gesamte Infrastruktur nicht nur für den Tourismus eine maßgebliche Rolle.

Transport

Dass der Transportsektor eines der drängendsten Themen in Riad und Saudi-Arabien ist, sahen die Teilnehmer mit eigenen Augen. Zahlreiche Staus machten den Transfer zwischen den Terminen zu einer Herausforderung. Nach wie vor ist das Hauptverkehrsmittel in dem Königreich der private PKW. Dies soll sich jedoch ändern und das ist im Stadtbild von Riad derzeit an vielen Stellen zu sehen. Ganze Straßenzüge werden untertunnelt, entlang vieler Hauptstraßen entstehen komplexe Brückenkonstruktionen. Auf insgesamt 180 Kilometern soll ein Metronetz die Hauptstadt durchziehen. Schon im kommenden Jahr soll das Projekt, das maßgeblich von Siemens und anderen deutschen Unternehmen unterstützt wird, fertiggestellt werden. Dementsprechend beeindruckend war auch die Präsentation beim Besuch der Baustelle. Dr. Peter Ramsauer, sowie die Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl hatten sogar die Chance einen entscheidenden Tunneldurchbruch mitzuerleben.

Aber nicht nur Riad soll ein Schienennetz bekommen. Ein weiteres Leuchtturmprojekt konnten die Teilnehmer am Ende der Reise in der Wüste nahe Dschidda bestaunen. Das Haraimain-Hochgeschwindigkeitsnetz, das einmal Mekka, Medina und Dschidda verbinden soll war auf dem Weg zur King Abdulla Economic City zu sehen. Noch ist die Strecke nur im Testbetrieb, doch schon im kommenden Jahr soll diese ihren Betrieb aufnehmen und dann auch die neu geschaffene King Abdullah Economic City anbinden. Diese ist ein weiteres Beispiel für den enormen Aufwand, den Saudi-Arabien im Rahmen der Saudi Vision 2030 betreibt um die Wirtschaft effizienter zu gestalten und zu diversifizieren.

King Abdullah Econmic City

Als neue wirtschaftliche Metropole hat Saudi-Arabien die King Abdullah Economic City geplant und die Umsetzung des Projekts in den vergangenen Jahren erfolgreich vorangetrieben. In einer geführten Tour konnten sich die Teilnehmer der Delegation davon einen Eindruck machen. Herzstück der neuen Metropole ist der King Abdullah Port. Schon 2013 wurde das 14 Mio. Quadratmeter große Areal in Betrieb genommen. Heute gehört der Hafen zu den 10 größten der Welt. In unmittelbarer Nähe dazu sind nicht nur eine 55 Mio. Quadratmeter große Industriezone, sondern auch groß angelegte Wohngebiete für alle Einkommensklassen entstanden, sowie Schulen, Medizinische Behandlungszentren und eine Universität mit internationalem Lehrplan.

Bei einem Abschlussessen in einem der großen Hotels der Economic City konnten die Teilnehmer schließlich ihre Eindrücke in dem Land Revue passieren lassen.

Deutsch-Saudische Handelsbeziehungen weiter positiv

Dass Saudi-Arabien die wirtschaftliche Diversifizierung vorantreibt, hat weitreichende Folgen. Auch wenn es immer wieder Berichte von zunehmenden Schwierigkeiten für internationale Unternehmen gibt, so konnten die deutschen Teilnehmer der Delegation kaum negative Erfahrungen machen. Natürlich bringe der Transformationsprozess auch Einschnitte mit sich, bestätigte beispielsweise Joachim Schares von Albert Speer & Partner: „Die Vision und das National Transformation Program führen zu einer stärkeren Fokussierung der saudi-arabischen Investitionen. Diese Fokussierung geht einher mit drastischen Sparmaßnahmen. Somit wird das Projektgeschäft schwieriger und erfordert intensive Beschäftigung mit der Frage, welche Projekte sich in den Zielkanon der Vision 2030 einordnen lassen.“ Dies würde aber keinesfalls bedeuten, dass deutsche Unternehmen nun nicht mehr gefragt seien, bestätigte Maximilana Pangerl von Mühldorfer. Das Gegenteil sei der Fall erklärte die Geschäftsfrau nach der Reise. „Man hört, dass es Zahlungsprobleme gibt, bei uns ist das allerdings nicht aufgefallen. Im Gegenteil. Man merkt, dass bewusster eingekauft wird. Durch die Saudi Vision 2030 ist ein wesentlich größeres Bewusstsein für Qualität entstanden.“ In Zeiten in denen man zusammenhalten muss, seien Qualität, Verantwortung und Begeisterung für die eigenen Produkte die besten Verkaufsargumente. „Gerade für diese Eigenschaften ist Mühldorfer, wie auch die anderen deutschen Unternehmen, in Saudi-Arabien bekannt und geschätzt.“

Auch in Zukunft werden deutsche Unternehmen gute Geschäfte in dem Königreich machen können, wobei sie die Ghorfa unterstützen wird. „Saudi-Arabien ist auch in Zukunft ein wichtiger Markt für uns“, erklärte Joachim Schares und Maximiliana Pangerl fügte hinzu: „Die Ghorfa ist ein hervorragender Türöffner für den saudischen Markt. Und wenn die Türen erst mal offen sind, ist das Arbeiten in dem Königreich sehr angenehm.“