SOUQ: Die OPEC ist für viele Deutsche immer noch ein Mythos, der sicherlich auf die Ölkrise von 1973 zurückgeht. Seitdem hat sich viel getan. Wie würden Sie die Rolle der OPEC heute beschreiben?
Al Ghais: Der Kern unserer Aufgabe besteht darin, im Interesse der Produzenten, der Verbraucher und der Weltwirtschaft für einen stabilen globalen Ölmarkt zu sorgen. Die OPEC ist bemüht, die Volatilität in den Ölmärkten zu verringern und eine nachhaltige Plattform für Investitionen zu schaffen, um eine faire Rendite für Produzenten und Investoren sowie eine effiziente, wirtschaftliche und regelmäßige Versorgung der Verbraucher zu gewährleisten.
Erdöl hat heute einen Anteil von etwas mehr als 30 Prozent am globalen Energiemix und ist ein Eckpfeiler der globalen Energiesicherheit. Die zuverlässige und vorhersehbare Versorgung mit Öl trägt zu Wohlstand und Wachstum in den Verbraucherländern auf der ganzen Welt bei – auch in Deutschland.
Um gleich mit einem Vorurteil aufzuräumen: Die OPEC legt die Ölpreise nicht fest. Wir verstehen auch, dass sehr hohe Ölpreise nicht im Interesse der Verbraucher sind, weil sie das Wirtschaftswachstum hemmen.
In Anbetracht der Bedeutung, die das Erdöl für uns alle hat, sind wir auch bestrebt, offene Kommunikationskanäle zu schaffen und unsere Zusammenarbeit mit anderen auszubauen. Wir führen seit vielen Jahren einen intensiven Dialog mit den Verbraucherländern. Mit der EU sind wir seit 2005 Dialogpartner. Ich treffe mich, zum Beispiel, in regelmäßigen Abständen mit hochrangigen Repräsentanten der EU. Die Experten der technischen Teams tauschen auch ihre Ideen aus. Dabei geht es um den Markt, um die Stabilität und Berechenbarkeit des Marktes. Natürlich führen wir auch Gespräche mit anderen großen Verbrauchern wie China, Indien und den USA.
SOUQ: Die OPEC ist jetzt 63 Jahre alt. Hat sich ihr Selbstverständnis in dieser Zeit verändert?
Al Ghais: Im Juni trafen wir uns zu unserem 60. Gründungsjubiläum in Bagdad, dem Ort, an dem die Organisation im September 1960 gegründet wurde. Die Feierlichkeiten mussten leider wegen der Pandemie um drei Jahre verschoben werden.
Das Treffen bot eine hervorragende Gelegenheit, an die Selbstverpflichtung der fünf Gründungsmitglieder (Iran, Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela) zu erinnern. Diese Staaten strebten eine Zusammenarbeit an, um einerseits ihre legitimen nationalen Interessen zu wahren und andererseits eine langfristige und dauerhafte Stabilität auf dem globalen Ölmarkt zu unterstützen. Damit wurde ein neuer Weg für die ölproduzierenden Länder geebnet.
Auf der Veranstaltung in Bagdad unterzeichneten die Mitgliedsländer auch eine Erklärung, in der es heißt: „Die Grundsätze, auf denen diese Organisation beruht, sind zeitlos. Sie werden unsere Arbeit auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten leiten.“ Unsere Ziele sollen unmissverständlich bleiben.
Außerdem haben wir bereits 1976 eine Schwesterorganisation, den OPEC-Fonds für internationale Entwicklung, gegründet. Dieser Fonds hat im Laufe der Jahre umfangreiche Finanzmittel für Projekte in den Bereichen Infrastruktur, Gesundheit und vielen anderen Sektoren bereitgestellt – und zunehmend auch für erneuerbare Energien. Es ist wichtig zu betonen, dass alle diese Finanzierungsmaßnahmen nicht in OPEC-Mitgliedsländern stattfinden, sondern für andere Entwicklungsländer bestimmt sind, die oft keine eigenen Energieressourcen haben.
Dies zeigt das Ethos, das die Gründung der OPEC begleitete: Wir haben nicht nur an die Entwicklung unserer eigenen Länder gedacht, sondern auch an die Förderung der globalen Entwicklung.
SOUQ: Die OPEC ist ein mächtiges und wichtiges Instrument, das einen großen Einfluss auf die weltweite wirtschaftliche Entwicklung haben kann.
Al Ghais: Am Anfang waren wir fünf ölproduzierende Länder. Seitdem haben uns einige verlassen und es sind andere hinzugekommen. Heute sind wir 13 Länder, und mit unseren Partnern aus der Erklärung zur Zusammenarbeit (Declaration of Cooperation, DoC) sind es weitere zehn Länder, die das gleiche Interesse haben: Den Ölmarkt stabil zu halten.
SOUQ: Was ist OPEC+?
Al Ghais: Der Begriff OPEC+ wurde von den Medien erfunden, aber er ist ein einprägsamer Name, weshalb wir ihn oft auch verwenden. Offiziell ist die Gruppierung die DoC. Sie wurde im Dezember 2016 mit zehn Ländern unterzeichnet, die nicht Mitglieder der OPEC sind. In Zukunft könnten weitere Länder hinzukommen. Der Zweck der Zusammenarbeit ist derselbe: zur Stabilisierung des globalen Ölmarktes beizutragen. Die OPEC+-Gruppe war und ist ein großer Erfolg. Unsere Bemühungen wurden auch von den G20-Ländern sowie von vielen anderen Regierungen in der ganzen Welt anerkannt und gelobt.
SOUQ: Manche Menschen sehen die OPEC als Kartell. Dahinter steht die Befürchtung, die OPEC könnte ihre Marktmacht missbrauchen. Wie begegnen Sie diesem Verdacht?
Al Ghais: Eine weithin annerkannte Definition eines Kartells lautet: „Ein Zusammenschluss von Unternehmen, die rechtlich oder wirtschaftlich weitgehend selbständig bleiben, aber durch Preisabsprachen o. Ä. den Wettbewerb ausschalten.“
Nach dieser klaren Definition ist die OPEC offensichtlich kein Kartell. Die OPEC ist eine anerkannte internationale Organisation, die bei den Vereinten Nationen registriert ist. Die OPEC hat per se keine kommerzielle Funktion. Sie dient vielmehr als Plattform für ihre Mitgliedsländer, um souveräne Entscheidungen über die Nutzung ihrer nationalen Ressourcen zu treffen.
Und im Gegensatz zu dem, was allgemein kolportiert wird, legt die OPEC die Ölpreise nicht fest.
SOUQ: Das wird viele überraschen. Können Sie uns das erklären?
Al Ghais: Ja, natürlich. Rohöl wird auf globalen Märkten und an Terminbörsen gehandelt, an denen zahlreiche Akteure beteiligt sind, und wird von einer Vielzahl komplexer Faktoren beeinflusst, die sich der Kontrolle eines einzelnen Akteurs entziehen. Auf dem physischen Markt werden täglich etwa 100 Millionen Barrel Rohöl gehandelt, aber an Terminbörsen in London, New York und Singapur ist die täglich gehandelte Menge etwa 50-mal so hoch wie die täglich physisch geförderte Ölmenge. Es gibt eine unüberschaubare Anzahl von Akteuren, die an diesen Aktivitäten beteiligt sind. Die Faktoren, die zur Preisbildung führen, sind so vielfältig, dass sie sich dem Einfluss der ölproduzierenden Länder entziehen.
Und selbst wenn die OPEC einen Marktanteil von 30 Prozent hat, bedeutet dies, dass 70 Prozent außerhalb der Organisation liegen. Es gibt etwa 100 ölproduzierende Länder auf der Welt. Nur 13 davon sind Mitglied der OPEC.
SOUQ: Darunter sind aber auch einige der großen Erzeugerländer.
Al Ghais: Das ist richtig, aber es gibt viele große Länder, die nicht OPEC-Mitglieder sind: Die USA, zum Beispiel, sind mit rund 12,5 Millionen Barrel pro Tag der größte Rohölproduzent der Welt. Auch Russland ist ein großer Produzent – es ist Mitglied der DoC. Darüber hinaus gibt es viele andere große erdölproduzierende Länder außerhalb der OPEC, so wie Brasilien, Kanada, China, Norwegen und andere.
Oft wird auch vergessen, dass die OPEC-Länder untereinander und mit anderen Exportländern auf den internationalen Märkten konkurrieren.
SOUQ: Was unternimmt die OPEC, um den Ölmarkt zu stabilisieren?
Al Ghais: Zu Beginn der COVID-Pandemie im April 2020 sank die Ölnachfrage plötzlich um schwindelerregende 30 Millionen Barrel pro Tag. Zu diesem Zeitpunkt ergriff die OPEC+ die umfassendsten und nachhaltigsten Maßnahmen, die jemals ergriffen wurden, um einen Zusammenbruch der Märkte und Industrien zu verhindern. Ohne diese Maßnahmen der OPEC+ wäre es in vielen Sektoren und in vielen Ländern zu enormen zusätzlichen Problemen gekommen.
Stabilisierung des Marktes
Ein weiteres Beispiel: 2014 und 2015 gab es den Schieferölboom in den USA und damit eine große weltweite Überproduktion an Erdöl. Auch hier haben wir erfolgreich reagiert und maßgeblich zur Stabilisierung des Marktes beigetragen.
Um es klar zu sagen: Wir wollen weder einen überversorgten Markt noch eine Situation, in der es einen Ölmangel gibt. Ein ausgeglichener Markt zwischen Angebot und Nachfrage ist entscheidend. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der OPEC, zu einem verantwortungsvollen Marktgleichgewicht zum Wohle aller Teilnehmer beizutragen. Dies ist auch gut für die Verbraucher und damit für die Weltwirtschaft.
Seit ich Generalsekretär der OPEC bin, betone ich ständig und nachdrücklich, dass wir jährlich mehr investieren müssen, um die Ölförderung und Ölverarbeitung auszubauen. Wenn wir nicht ausreichend investieren, wird eine Knappheit entstehen, die dann zu extrem volatilen Märkten führt. Wir müssen unbedingt weiterhin in den Ausbau der Ölförderung und -verarbeitung investieren, auch unter den Anforderungen und Bedingungen der Energiewende. Energiesicherheit für alle und Dekarbonisierung müssen Hand in Hand gehen dürfen.
SOUQ: Vor ein paar Jahren haben wir viel über „Peak Oil“ diskutiert. Das war eine Metapher für das vermeintlich nahe Ende der Öl- und Gasreserven und bedeutete auch, dass es jetzt dringend an der Zeit sei, auf neue Energien umzusteigen. Inzwischen sprechen wir von „Peak Demand“ – also der Frage, wann der Höhepunkt der Energienachfrage weltweit erreicht sein könnte. Wie sieht Ihre Prognose für den künftigen Energieverbrauch und die Energieerzeugung aus?
Al Ghais: Das ist eine wichtige Frage. Ich habe den Eindruck, dass mehr Realismus und Pragmatismus in die Debatte Einzug halten. Lassen Sie uns das Gesamtbild betrachten: Unser Planet hat heute etwa acht Milliarden Einwohner. Laut unserem World Oil Outlook Bericht wird die Weltbevölkerung bis 2045 auf etwa 9,5 Milliarden anwachsen. Der größte Teil dieses Wachstums wird in den Entwicklungsländern stattfinden. Auch die Weltwirtschaft wird sich im gleichen Zeitraum verdoppeln. Dies wird vor allem in den Ländern außerhalb der OECD der Fall sein.
Das Öl bleibt wichtig
Dieses prognostizierte Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wird weltweit etwa 23 Prozent mehr Energie erfordern als wir heute schon verbrauchen. Das bedeutet, dass wir alle verfügbaren Energien werden nutzen müssen.
Unseren Prognosen zufolge wird der Anteil des Erdöls am globalen Energiemix im Jahr 2045 immer noch bei 29 Prozent liegen – etwas weniger als heute. Die erneuerbaren Energien werden prozentual den größten Zuwachs verzeichnen, wobei der Anteil vor allem von Wind- und Solarenergie bis 2045 von unter drei Prozent auf voraussichtlich fast 11 Prozent steigen wird.
SOUQ: Wie ist die Situation beim Gas?
Al Ghais: Es wird erwartet, dass der Anteil von Gas bis 2045 von heutigen 23 Prozent auf rund 24 Prozent steigen wird. Kohle ist der einzige Energieträger, dessen Verbrauch voraussichtlich sinken wird. Alle datengestützten Prognosen, die ich gesehen habe, zeigen, dass Öl auf absehbare Zeit unersetzlich bleiben wird.
SOUQ: Zunehmend fließen ESG-Kriterien in die Bewertung von Investitionen ein und sind daher für die Kreditvergabe von Bedeutung. Das sind die Forderungen aus der Politik nach nachaltiger Unternehmensführung und zum Teil auch bereits geltende regulatorische Anforderungen in den Bereichen Umwelt (Environmental), Gesellschaft (Social) und Unternehmensführung (Governance).
AL Ghais: Dies ist ein unheimlich wichtiges Thema angesichts dessen, was auf dem Spiel steht. Lassen Sie mich vorausschicken, dass wir allein für die Ölindustrie bis 2045 einen Bedarf an Investitionen in Höhe von 12,1 Billionen US-Dollar oder über 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr vorhersehen. In den letzten Jahren lag das jährliche Investitionsvolumen aufgrund des Abschwungs in der Ölindustrie, der Pandemie und der zunehmenden Konzentration auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Fragen deutlich unter diesem Wert.
Klare Investitionssignale nötig
Wir rufen alle politischen Entscheidungsträger und Interessenvertreter auf, gemeinsam für ein langfristig investitionsfreundliches Klima zu sorgen, in dem ausreichend Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Ein Klima, das sowohl für Produzenten und Verbraucher als auch für Industrie- und Entwicklungsländer gedeihlich ist.
Wir haben Appelle gehört, dass die erdölproduzierenden Länder eine Schlüsselrolle bei der Gewährleistung einer stabilen und nachhaltigen globalen Energieversorgung spielen sollen. Gleichzeitig haben wir aber auch Forderungen von Industrieländern gehört, die Finanzierung von Ölprojekten gänzlich einzustellen.
Warum sollte man investieren, wenn man keine Nachfragesicherheit sieht, zumal sich Investitionen meist erst nach einem Jahrzehnt oder länger rentieren? Wir brauchen eine Energierealität – Öl wird es noch viele Jahrzehnte lang geben. Wir brauchen klare und transparente Investitionssignale.
Lassen Sie mich dies noch etwas weiter ausführen. Ich habe unsere Forschungsabteilung kürzlich gebeten zu ermitteln was passieren würde, wenn wir sofort aufhören würden in Öl zu investieren. Wie groß würde die Diskrepanz zwischen der derzeitigen Produktion und der steigenden Nachfrage sein? Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass in nur fünf Jahren ein gewaltiges Defizit von 16 Millionen Tonnen Öl pro Tag zwischen der weltweiten Nachfrage und dem vorhandenen Angebot entstehen würde, wenn die Investitionen in die Ölförderung heute eingestellt würden. Nach einigen Einschätzungen könnte diese Prognose als konservativ angesehen werden.
Erneuerbare sind wichtig
SOUQ: Aber der Ruf nach Dekarbonisierung ist nicht unberechtigt.
Al Ghais: Nein, ganz im Gegenteil. Wir müssen unsere Industrie mehr als je zuvor dekarbonisieren, um die Emissionen zu reduzieren. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass alle OPEC-Länder das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet haben. Viele unserer Mitglieder spielen auch eine führende Rolle bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft und der Entwicklung und Errichtung von erneuerbarer Energie. Wir sehen auch Lösungsansätze in Technologien wie Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung, Wasserstoff und anderen, sowie in Energieeffizienzmaßnahmen und der Förderung der Kreislaufwirtschaft.
An dieser Stelle ist es mir wichtig zu betonen, dass ich nicht von der Energiewende, sondern von den Energiewenden spreche. Es muss im Plural gedacht werden. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Aufbau einer kohlenstoffarmen Zukunft viele Wege benötigt. Es gibt nicht nur einen Weg für alle, egal ob es sich um ein Land oder eine Industrie handelt. Es gibt nicht den einen Weg, der für alle passt. Es gibt, zum Beispiel, einen Weg der Energiewende für Deutschland und einen anderen für Kuwait.
Wir müssen uns darauf konzentrieren, alle Völker, alle Energieträger und alle Technologien miteinzubeziehen. Die Öl- und Gasindustrie trägt dazu bei, pragmatische und realistische Lösungen herbeizuführen.
SOUQ: Im November und Dezember wird die COP 28 in Dubai stattfinden. Einige Umweltorganisationen sind der Meinung, dass Dr. Sultan Al Jaber als Präsident der COP 28 ungeeignet ist, weil er gleichzeitig Chef der staatlichen emiratischen Ölgesellschaft ADNOC und damit auch für Investitionen in Öl und Gas zuständig ist. Was ist Ihre Meinung dazu?
Al Ghais: Niemand ist besser geeignet, den Vorsitz der COP 28 zu übernehmen, als Dr. Sultan Al Jaber. Und zwar aus genau diesem Grund: Er ist der Chef eines Ölkonzerns und gleichzeitig der Chef von Masdar. Masdar ist ein führendes Unternehmen in den Bereichen erneuerbarer Energien, nachhaltiger Entwicklung und globaler Energiewende. Masdar ist heute in mehr als 40 Ländern auf sechs Kontinenten tätig und vermittelt technisches Know-how, Innovation und Erfahrung, um zur Lösung einiger der schwierigsten Herausforderungen im Bereich erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit beizutragen.
Es ist nicht fair, Dr. Al Jaber vorab zu kritisieren. Er hat sehr klare Vorstellungen, die er kürzlich auf dem OPEC-Seminar und den G20-Ländern in Indien vorgestellt hat. Er hat eine klare Vorstellung davon, wie eine gerechte, faire und integrative Energiewende aussehen kann, die niemanden zurücklässt und er möchte alle Stimmen an den Tisch bringen. Wir von der OPEC sind sehr stolz darauf, dass die VAE im Laufe dieses Jahres die COP 28-Klimakonferenz ausrichten werden und wünschen den VAE viel Erfolg.
SOUQ: Was bedeuten „inklusiv“ und „integrativ“ in diesem Zusammenhang?
Al Ghais: Wir sitzen hier in Deutschland und Wien und reden über die Energiewende. Wir reden über Videokonferenzen mit zuverlässiger Stromversorgung, guter Beleuchtung, usw. Aber was ist mit den über 700 Millionen Menschen, die nach wie vor keinen Zugang zu Strom haben? Was ist mit den 2,5 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu sauberen Brennstoffen zum Kochen haben? Was sollen wir diesen Menschen und ihren Regierungen sagen? Dass sie ihre Öl- und Gasvorkommen im Boden lassen müssen; dass sie weiterhin ohne Zugang zu modernen Energiedienstleistungen auskommen werden müssen?
Es ist keine „entweder – oder“-Zukunft, es muß eine „und“-Zukunft sein. Wir brauchen sowohl Öl, als auch Gas, immer noch etwas Kohle, aber auch viel Wasserkraft, Kernkraft, Wasserstoff, Wind, Sonne… Es geht um das „und“.
Unsere Energiezukunft muss für alle vorhanden sein, nicht nur für einige.
SOUQ: Wir in Europa sind zunehmend auf zuverlässige Öl- und Gaslieferungen aus den arabischen Ländern angewiesen, nachdem wir unsere Energiebeziehungen zu Russland abrupt beendet haben. Gleichzeitig sehen wir, dass sich die ölreichen Länder der arabischen Welt zunehmend Asien zuwenden. Müssen wir uns als Europäer Sorgen machen?
Al Ghais: In den letzten 18 Monaten haben sich die weltweiten Rohöl- und Produktströme offensichtlich stark verändert. Da es sich bei Öl um einen globalen Markt handelt, können sich sowohl die Produzenten als auch die Verbraucher glücklicherweise an neue Handelsstrukturen anpassen und diese berücksichtigen. In dieser Hinsicht haben wir in dieser Zeit mehr Öl- und Gasströme aus dem Nahen Osten nach Deutschland und Europa gesehen.
Wir sind davon überzeugt, dass die Energiebeziehungen zwischen dem Nahen Osten und Europa auch in Zukunft so bedeutsam und wertvoll bleiben werden, wie sie es in der Vergangenheit gewesen sind. Tatsächlich handelt es sich um weit mehr als nur eine Beziehung zwischen Erzeugern und Verbrauchern; die vielen Joint Ventures und Investitionen im Nahen Osten und in Europa sind nur einige Beispiele hierfür.
Ich möchte erneut darauf hinweisen, dass die OPEC eine enge Beziehung zur Europäischen Union unterhält, mit der sie seit 2005 im Dialog steht. Ich habe bei vielen Gelegenheiten persönlich mit der EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simson, gesprochen, und wir haben uns sehr gefreut, dass sie Anfang Juli des Jahres am OPEC-Seminar teilgenommen hat, um Energiefragen zu erörtern.
Die Zusammenarbeit mit allen Interessenträgern ist und bleibt ein zentrales Mantra unserer Organisation.
SOUQ: Herr Generalsekretär, ich danke Ihnen für dieses sehr interessante und aufschlussreiche Interview.
Das Interview mit. S.E. Haitham Al Ghais führte Jürgen Hogrefe, Chefredakteur von SOUQ.