Die Bertelsmann Stiftung hat eine umfangreiche Analyse und interaktive Darstellung der MENA-Region vorgelegt, um Wirtschaft und Politik neue Möglichkeiten zur Verbesserung der Verbindungen zu unserer Nachbarregion aufzuzeigen. Die Stiftung empfiehlt den EU-Ländern, bestehende Abkommen dringend zu aktualisieren und die Anbindung der EU an die arabischen Länder umfangreich zu vertiefen. Andere globale Player wie China haben sich längst auf den Weg gemacht.
Unter dem Titel „New Perspectives on Global & European Dynamics” forscht und berät die Bertelsmann Stiftung zum Thema der ökonomischen Verflechtung Europas in der globalen Wirtschaft. Damit sollen neue Ansätze gefunden werden, wie sich die EU angesichts stetiger Veränderungen der globalen Wirtschaft aufstellen sollte. Thematisch geht es um branchenbezogene Schwerpunkte und um die Neuschaffung, respektive Anpassung von Handelsverträgen.
In einem Projekt unter dem Titel „MENA – Mapping EU’s Near Shore“ hat die Bertelsmann Stiftung jetzt auch die wirtschaftliche Verflechtung der EU mit der MENA-Region untersucht. Basierend auf umfangreichem, ausgewertetem statistischen Material und der Analyse der handelsvertraglichen Regelungen wird der Status analysiert und in ein Verhältnis zu anderen bedeutenden Volkswirtschaften gesetzt. Sehr hilfreich für Anwender ist, dass die Stiftung dies auf einer sehr anschaulichen Website visualisiert.
https://globaleurope.eu/mena-mapping-eus-near-shore/
In fünf Kapiteln werden die wirtschaftlichen Eckdaten, die Handelsströme, Handelsverträge und die Energiepartnerschaft interaktiv dargestellt. Die Darstellung mündet in Handlungsempfehlungen für die Politik und die Wirtschaft.
Beeindruckend selbst für Fachleute dürfte der Umfang und die Bedeutung der EU – MENA Beziehungen sein – wenn man diese in das Verhältnis zu Handelsströmen nach China bzw. die USA setzt. Dies gilt sowohl aus Sicht der EU aber auch – und das ist die besondere Stärke der Darstellung – auch aus Sicht der MENA-Region. Hieraus lässt sich aus Sicht der MENA-Region die enorme Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen mit der EU erkennen, die aber den Beziehungen der MENA-Region zu China gleichkommt.
Über dieses Projekt berichtete der Nahostwissenschaftler Christian Handelt von der Bertelsmann Stiftung, der an der Erstellung der Studie gemeinsam mit seinem Kollegen Alexander Weber und anderen beteiligt war, bei einer Veranstaltung der DAFG – Deutsch Arabischen Freundschaftsgesellschaft e.V. Anfang März 2024 in Berlin.
Einen bedeutenden Schwerpunkt sieht Hanelt bei dem Ausbau der Energiepartnerschaft in den Bereichen erneuerbare Energien und grünem Wasserstoff. Die interaktive Website gibt hier einen guten Überblick über die Potentiale für alle nordafrikanische Staaten und die GCC Staaten aber auch die Herausforderungen an Infrastruktur.
Die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung an Politik und Wirtschaft sind eindeutig: Bilaterale Handelsverträge vor allem mit den nordafrikanischen Partnerländern, mit denen EU Assoziationsabkommen bestehen, müssen dringend aktualisiert werden. Dadurch kann die Anbindung an die EU weiter vertieft werden, um so das bedeutende Potential der Kooperation mit den Mittelmeerstaaten in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu heben.
Verhandlungen über eine Vertiefung und Erweiterung der Regelungsbereiche scheinen dringend geboten. Die Verhandlungen mit den einzelnen Staaten, insbesondere Marokko, Tunesien und Ägypten über den Abschluss sogenannter „Deep and Comprehensive Free Trade Agreements“, wie sie die EU etwa mit Moldawien, Georgien und der Ukraine unterhält, um diesen Staaten Marktzugang zum europäischen Binnenmarkt zu gewähren, wurden 2013 zwar aufgenommen. Sie sind jedoch gegenwärtig ausgesetzt. In den bestehenden Assoziierungsabkommen sind die Erweiterungen des Anwendungsbereichs um Dienstleistungen, Öffentliches Auftragsrecht und gewerblichen Rechtsschutz von Bedeutung.
Die schon in den 1990er Jahren initiierten Verhandlungen der EU über ein Freihandelsabkommen mit den GCC Staaten kommen seit Jahren nicht voran, wurden faktisch im Jahr 2008 seitens der EU ausgesetzt. Zugleich befindet sich China seit ersten Ansätzen in 2004 nun in substantiellen Verhandlungen über den Abschluss eines FTA mit den GCC Staaten, das weitgehend ausverhandelt erscheint.
Von Wolf R. Schwippert