Seit mehr als einem Vierteljahrhundert gehört das Arab-German-Business-Forum der Ghorfa zu den Höhepunkten im deutsch-arabischen Wirtschaftsleben. Zur 26. Ausgabe des Forums kamen vom 5.- 7. Juni rund 300 Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Institutionen in Berlin zusammen. Die teilweise dramatischen Veränderungen in beiden Wirtschaftsräumen schufen ein verstärktes Interesse am bilateralen Austausch.
Intensiv und ergebnisoffen wie selten wurde auf den Podien und in den Gesprächen am Rande des Forums über die veränderten Bedingungen für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit diskutiert. Die Teilnahme zahlreicher Botschafter aus den arabischen Ländern, von Vertretern arabischer Handels- und Industriekammern, Thinktanks und regionalen, staatlichen und nichtstaatlichen internationalen Organisationen dokumentierten das hohe Niveau des diesjährigen Forums.
Der Präsident der Ghorfa, Dr. Peter Ramsauer, betonte in seiner Begrüßungsrede die gestiegene Bedeutung der bilateralen Zusammenarbeit, unter anderem auf den Gebieten der Energiepartnerschaft, wie z. B. mit Algerien und Katar. Das Engagement deutscher Unternehmen in der Region sei für beide Seiten wichtig. Die deutsch-arabische Zusammenarbeit könne nur auf einer breiten Vertrauensgrundlage basieren. Die Ghorfa habe mit ihren Dienstleistungen und Aktivitäten daran einen erheblichen Anteil.
In den arabischen Ländern hätten zuletzt die Diversifikation der nationalen Ökonomien sowie die bilateralen und regionalen Kooperationen erheblich zur rasanten gesellschaftlichen Entwicklung beigetragen. Die Bewältigung der neuen globalen Herausforderungen sowie die Aufgaben, die der Klimawandel an alle stellen, sollten demzufolge auf dem diesjährigen Forum die zentralen Themen sein.
In Keynotes und Begrüßungsstatements unterstrichen die arabischen Redner den Wunsch nach einer Stärkung der deutsch-arabischen Wirtschaftspartnerschaft. Hier wurde die Erwartung nach einem stärkeren deutschen Engagement bei Investitionen in der Region und auch nach einem erweiterten Wissenstransfer zum Ausdruck gebracht. Entwicklungsmöglichkeiten gebe es unter anderem im Hinblick auf eine effiziente und nachhaltige Energieerzeugung und –nutzung. Gute Möglichkeiten, die Zusammenarbeit zu intensivieren gebe es auf einer Vielzahl von wirtschaftlichen und kulturellen Gebieten.
Dementsprechend waren die Themenstellungen auf den sechs Panels mit einer hochkarätigen Expertenbeteiligung konzipiert:
- Smart Cities: Planung und Konstruktion – Geschäftsmöglichkeiten in dem ägyptischen Bausektor
- Investitionen in Venture Capital – „Key-Driver“ für technologischen Fortschritt, Wissenstransfer und künftiges Wirtschaftswachstum
- Industrialisierung & Diversifikation: ändernde Wirtschaften und Wachstumsmärkte- Branchen
- Transport, Luftverkehr, Logistik & Entwicklungstrends in der Infrastruktur und Kreislaufwirtschaft
- Nachhaltigkeit als Erfolgsfaktor & globale Herausforderungen: Gewährleistung von nachhaltigem wirtschaftlichem Wachstum
- Stärkung der Zukunft: Berufsausbildung und die Bedeutung für den Erfolg der arabisch-deutschen Geschäftsbeziehungen.
Die Panelveranstaltungen zeigten einmal mehr, dass die deutsch-arabische Zusammenarbeit bereits heute über den reinen Handels- und Warenaustausch hinausgeht. Obgleich der deutsch-arabische Warenaustausch im vergangenen Jahr eine Zunahme von gut 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete (zugelegt haben vor allem Algerien, Libyen, Saudi-Arabien und die VAE), konnten weitere höchst interessante perspektivische Kooperationsvorhaben präsentiert und erörtert werden.
Im Rahmen des 2014 gefassten ägyptischen Entwicklungsplans wurden 26 Touristenressorts realisiert und Projekte zur Modernisierung von Städten und Dörfern vorgesehen, die ein deutsches Beteiligungsengagements ermöglichen. Die Technologie- und Engineerings Sparte der Deutschen Bahn AG hatte am 16. Juni 2022 mit der ägyptischen Eisenbahngesellschaft den Bau und die Bereitstellung der technischen Infrastruktur sowie der Züge für die Eisenbahnstrecken vom Roten Meer über Kairo nach Alexandria sowohl für Hochgeschwindigkeits- als auch Regionalverbindungen im Grundzug vereinbart. Das Vorhaben, bei dem ein Milliardenvolumen bewegt wird, soll wesentlich zur Verbesserung der Mobilität zwischen den wichtigen Metropolregionen vor allem in Unterägypten beitragen.
Der Ausbau und die Modernisierung der Transport- und Verkehrsinfrastruktur als wichtige Lebensadern sind auch im arabischen Raum die Voraussetzung für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Das Eisenbahn- und Straßenverkehrsnetz, der Flugsektor, die Verbindungen zu Häfen, Wirtschaftszonen und Produktionsstandorten sind demzufolge Schwerpunkte der arabischen Entwicklungspläne. Prioritär sind die Vorhaben im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur, da sie einen Großteil des Gütertransportes aufnehmen; allerdings haben weitere Verkehrsträger, beispielsweise die Nutzung von Wasserstraßen und auch der Ausbau und die Modernisierung der Luftverkehrsverbindungen, inzwischen ein größeres Augenmerk erhalten.
Für bedeutende Projekte und Investitionen müssen verstärkt innovative Consulting- und Engineering-Leistungen zum Zuge kommen. Neue Methoden und Ansätze sowie eine verbesserte Vermarktung von touristischen Angeboten seien hilfreich. Auch bei der Erarbeitung moderner rechtlicher Rahmenbedingungen und Regelungen, beispielsweise bei der Realisierung öffentlich-privater Vorhaben (PPP), könne ein innovatives Consulting einen wesentlichen Beitrag leisten.
Innovation und Wissenstransfer erfordern zudem moderne Finanzierungsinstrumente. Ägypten als zweitwichtigste Wirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent, aber auch die MENA-Region insgesamt könnten mit Venture Capital Finanzinstrumenten technologische Innovationen und den Wissenstransfer fördern – vor allem für Start-Ups. Allerdings bedürfe der Einsatz von vorrangig öffentlichen Finanzmitteln die logistische und intellektuelle Unterstützung des Investors. Will heißen: Kreativität und unternehmerisches Denken seinen zwingend nötig.
So seien die konkrete Ausgestaltung der Finanzierungskonditionen, eine exakte Kenntnis der Risiken und Chancen für die Vermarktung der Produkte, die Marktgegebenheiten, die Kooperation mit Universitäten und Instituten unerlässliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Investition. Mit Blick auf die regionalen Bedingungen könnten die Gesundheitswirtschaft, Landwirtschaft oder der FINTECH-Bereich erfolgversprechende Sektoren für Investoren sein.
Mittlerweile sind Zielstellungen für ein nachhaltiges Wirtschaften ein wesentlicher Bestandteil der Business Pläne vieler privater Unternehmen in den arabischen Ländern. Vor dem Hintergrund der globalen Klimaziele sind Emissionsreduzierung und die Dekarbonisierung bei der Energieerzeugung wichtige Ziele der Unternehmensentwicklung. Die Anstrengungen zur Emissionsreduktion müssen gleichwohl auch den Transportbereich, die Montage, ja die gesamte Lieferkette umfassen.
Es wurde allerdings festgehalten, dass es in den 22 Ländern der Arabischen Liga Unterschiede in der Geschwindigkeit und Intensität zur Erreichung dieser Ziele gibt. In diesem Zusammenhang wurde ein stufenweiser Ansatz und der Wunsch nach Kooperationen mit deutschen Unternehmen betont.
Klar ist: Nachhaltiges Wirtschaften erfordert qualifizierte Mitarbeiter. Die betreffende Paneldiskussion verdeutlichte die Bedeutung der beruflichen Aus- und Weiterbildung und den Wunsch nach einer vertieften Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen. Deutschland verfügt mit dem dualen Ausbildungssystem seit Jahrzehnten über reichhaltige entsprechende Erfahrungen, die auch gern zur Verfügung gestellt werden.
So konnten in Saudi-Arabien bei der Ausbildung im Gesundheitswesen auf der Grundlage einer digitalen Plattform sehr positive Erfahrungen gesammelt werden: motivierte Wissensaneignung entsprechend der individuellen Voraussetzungen und Eigenschaften.
Eine effiziente Koordinierung zwischen den Universitäten und den Unternehmen der Privatwirtschaft zum Erwerb der praktischen Erfahrungen und Skills (VAE, Jordanien) kann beispielsweise auf der Grundlage von Vereinbarungen (MoU) oder auch im Rahmen von „joint lectures“ erfolgen. Am Beispiel der Aus- und Weiterbildung in der Flugverkehrssicherheit am Standort Bahrain wurde einmal mehr die Gültigkeit des Grundsatzes vom „lebenslangen Lernen“ demonstriert.
Zu einem der Höhepunkt des Business Forums gehört traditionell der „Ambassadors Talk“ – die abschließende Diskussionsrunde arabischer und deutscher Botschafter über die künftigen Entwicklungspläne und Aktivitäten ihrer Länder.
Die Botschafter von Bahrain, Irak, Oman, und Dschibuti verdeutlichten das gemeinsame Anliegen der arabischen Teilnehmer, die deutsch-arabische Zusammenarbeit in einer langfristigen Perspektive zu sehen („long-term commitment“).
Deutsche Direktinvestitionen, Technologietransfer, Tourismuszusammenarbeit, Logistikkooperation, Zusammenarbeit im Gesundheits- und Bildungswesen bestimmen die Aktivitäten und Zukunftsvorhaben Bahrains.
Der Irak sieht Entwicklungspotential u.a. im Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit den Regionen des Landes und verweist auf eine größere Dynamik in der Gründung von Städtepartnerschaften. Der Energiebereich, Transport und das Gesundheitswesen sollen zu Knotenpunkten (Hubs) fortentwickelt werden.
Auf der Basis der “Vision 2040” und stabiler Rahmenbedingungen ist der Oman bestrebt, Logistik, die Landwirtschaft, Produktion und Technologie weiterzuentwickeln. Prioritäres Anliegen ist die (Weiter-)Entwicklung erneuerbarer und grüner Energiequellen (grüne Wasserstoffwirtschaft). Der Logistikbereich, die Außenwirtschaftsbeziehungen, die weitere Entwicklung des Tourismus und der touristischen Infrastruktur sowie der Luftverkehrsbereich sind interessante Gebiete für eine weitere Zusammenarbeit mit Deutschland.
Dschibuti entwickelt sich zu einem regionalen Hub und zu einer Logistikplattform für das östliche Afrika. Die Lage des Landes und die Hafeninfrastruktur sind gute Voraussetzungen, die wirtschaftlichen Verbindungen zu den ostafrikanischen und arabischen Märkten zu entwickeln. In Kooperation mit der Siemens AG konnte ein Windpark zur Erzeugung erneuerbarer Energien errichtet werden.
Es wurde sehr wohl angemerkt, dass Deutschland vor dem Hintergrund multipler Krisen und Herausforderungen zuletzt an Zugkraft und Dynamik etwas nachgelassen habe. Auch deshalb seien wirtschaftliche Erfolge der arabischen Länder auch für Deutschland und die bilateralen Beziehungen wichtig.
Von Wolfgang Gerstmann