2. Deutsch-Arabisches Gesundheitsforum

Erfolgreiche Wiederholung: Beim 2. Deutsch-Arabischen Gesundheitsforum am 12. und 13. Oktober 2007 im Langenbeck-Virchow-Haus der Berliner Charité informierten sich 200 Experten über alle Aspekte des Gesundheitsmarktes: Ausbildung, Medizintechnik, Therapien, Rehabilitation, Krankenhaus-Management, Pharmaindustrie, Gesundheitstourismus.

Die Beteiligung bestätigt: das Gesundheitsforum hat sich etabliert, konstatierte Ghorfa-Präsident Dr. Thomas Bach in seiner Begrüßung vor zahlreich anwesenden Botschaftern arabischer Länder. Als Gründe der zunehmenden Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen nannte er Bevölkerungswachstum und steigende Lebenserwartung und war sich darin mit allen folgenden Referenten einig. Allerdings nicht nur die Kapitalstärke der arabischen Länder fördere das Bedürfnis nach besserer medizinischer Versorgung (Stichwort: Medizintourismus). Die Chancen des Gesundheitsmarktes werden auch durch den planvollen Ausbau staatlicher Systeme der Gesundheitsversorgung und der Krankenversicherung befördert. Marokko und Jordanien seien Beispiele hierfür.

Mit Zahlen unterstrich Saudi-Arabiens Botschafter in Deutschland, Prof. Dr. med. Osama Abdulmajed Shoboksi, die engen deutsch-arabischen Beziehungen im Gesundheitssektor. 1.730 arabische Studenten waren im Sommersemester 2007 an deutschen Universitäten immatrikuliert, 1.472 arabische Ärzte absolvieren zur Zeit hierzulande ihre Facharztausbildung. Insgesamt befinden sich 3.204 arabische Ärzte und Medizinstudenten in Deutschland in der Ausbildung. Medizinische Geräte im Wert von 410.260.000 € wurden 2006 in die arabischen Länder verkauft. Und schließlich: im selben Jahr wurden 806 saudi-arabische Patienten auf Kosten ihrer Regierung für 149.727.186 € in Deutschland behandelt.

Nicht nur um wirtschaftliche Fakten dürfe es beim fachlichen Austausch gehen, sondern auch um Vertrauen, mahnte Prof. Dr. Detlev Ganten, Vorstandsvorsitzender der Charité. Die Zusammenarbeit mit der arabischen Welt bedeute die Kooperation mit einer Region, aus der mit Ägypten, Sudan, Mesopotamien die Urkulturen der Menschheit stammen, die es zu verstehen gelte.

An den guten Ruf des deutschen Gesundheitswesens erinnerte Ministerialdirigent Dr. Ewold Seeba, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium. Er sei besser als hierzulande oft angenommen. Für die ärztliche Versorgung im Krankenhaus, zitierte er aus einer OECD-Studie, stehen in Deutschland 6,4 Betten pro 1.000 Einwohner zur Verfügung; der OECD-Durchschnitt liegt bei 3,9 Betten.

Vor gesetzlicher Überregulierung warnte der Bundestagsabgeordnete Detlef Parr und wünschte sich die freie Entfaltung der medizinischen Kompetenz. Wenn auf der Fachmesse Arab Health 2008 in Dubai 340 deutsche Aussteller vertreten sind, spreche dies für Deutschland als die erste Adresse Europas im Gesundheitstourismus. Wie auch mehrere Folgereferenten mahnte er die Verbesserung der deutschen Visa-Erteilungspraxis an.

Medizinische Ausbildung, Krankenhausmanagement und Qualitätskontrolle, Fragen der Rehabilitation und Krankenversicherung, der Stand der Medizintechnik, deutsch- arabische Kooperationsmöglichkeiten in Pharmaindustrie und Gesundheitswesen, darunter im Besonderen der Gesundheitstourismus, bildeten während eineinhalb Tagen die Themenschwerpunkte der Vortragsreihen.

Aus- und Fortbildung:

Tendenzen und Probleme der medizinischen Ausbildung fasste Prof. Dr. Horst-Dieter Becker, Universität Tübingen, am Beispiel Saudi-Arabiens zusammen. Nachfrage und Bedarf nach medizinischem Personal seien enorm, diagnostizierte der Berater der Saudi German Hospital Group. Angestrebt sei ein Verhältnis Arzt : Bevölkerung von 1 : 400. Der gegenwärtige Stand ist um ein zehnfaches höher (zum Vergleich: Deutschland 1 : 356). Ein hoher Anteil junger Menschen (60% sind unter 18 Jahre alt) und deren mangelnde Bereitschaft oder finanzielle Mittel für ein Auslandsstudium zwingen zu dem Schluss, Bildung zu exportieren. Prof. Becker beklagte allerdings die noch mangelnde Einsicht deutscher Universitäten, Bildung zu exportieren. Dies stehe im Gegensatz zum Bedarf im Ausland und zum guten Leumund deutscher Bildung, von der Türöffnerfunktion für die deutsche Wirtschaft ganz abgesehen.

Die Dringlichkeit einer Continued Medical Education in der arabischen Welt unterstrich Prof. Dr. Khalil Oumari, Damaskus. Der noch vorhandene Mangel an internationaler Erfahrung, Gesundheitsinfrastruktur und finanzieller Mittel mache dauernde Fortbildung erforderlich. Sie sei z. B. in Syrien seit 2007 durch Gesetz grundsätzlich vorgeschrieben und orientiere sich, wie in Deutschland, an einem Punktesystem. Für die allerdings noch fehlenden Detailregelungen und deren Kontrolle wünschte sich der Referent eine nicht kommerziell arbeitende CME-Gesellschaft nach dem Vorbild einer Zertifizierungsorganistion.

Krankenhausmanagement und Qualitätskontrolle:

Prof. Matthias Schönermark (Medizinische Hochschule Hannover) erläuterte „lean-management“ in der Gesundheitswirtschaft. Das „just-in-time“-Prinzip bei der Diagnose im Hospital verringere den Aufwand an Zeit und Geld bei gleichzeitiger Erhöhung der Produktivität, ohne dass es einer Aufstockung der Ressourcen bedürfe. „Lean-Health könne auch in den laufenden Betrieb implementiert werden. Hilfestellung bieten IT-Lösungen der Firmen Siemens (sog. workflow improvement) und IBM. Notwendigkeit für diese technischen Verfeinerungen ist die Zunahme der Zahl älterer Patienten und damit der Behandlungsnotwendigkeit chronischer Krankheiten. Effizientere Kommunikation und schnellere Entscheidungen führen schließlich zu besserer Behandlungs- und Lebensqualität. Nicht zuletzt den besseren Datenzugang für die Forschung nannte der Referent Henrik Hoejlund als vorteilhafte Erfahrungen, die sein Unternehmen IBM mit der Informationsvernetzung über Patienten, Diagnosen und Krankheitsverläufe in Dänemark gemacht habe. Als Effizienzgewinn für den alltäglichen Gesundheitsbetrieb zählte er 50 Minuten Zeitersparnis pro Tag, eine Reduzierung der Telefongespräche um 66% und 2,30 Euro je Krankheitsfall auf.

Kooperation in Gesundheit und pharmazeutischen Industrie:

Diabetes und Krebs, aber auch Tropenkrankheiten und durch Armut bedingte Erkrankungen sind die Herausforderungen der Zukunft, so Cornelia Yzer, Hautgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller. Hinzu komme das steigende Durchschnittsalter der Menschen. Bis zum Jahre 2020 werde lt. einer Schätzung des Wirtschaftsprüfungsunternehmens PriceWaterhouseCoopers der Pharmamarkt auf ein Volumen von 800 Mrd. USD anwachsen und sich asiatische Länder zu den Forschungsnationen gesellen. Durch Investitionen in Bildung und Infrastruktur schaffen auch die arabischen Länder gute Voraussetzungen, sich in Forschungsnetzwerke einzureihen.

Als Beispiel stellte Saeb Nahas, Präsident und Geschäftsführer der Nahas Enterprise Group, sein Land Syrien vor. Die dortigen marktwirtschaftlichen Reformen, die den Privatsektor stärken sollen, gut ausgebildete Arbeitskräfte und die günstige geographische Lage böten gute Voraussetzungen für Kooperation und ausländische Investitionen.

Einen detaillierten Blick auf einen schon gut entwickelten Markt vermittelte Dr. Mahly Mohamed Abdelmoumen, Abteilungsleiter Pharmazie im marokkanischen Gesundheitsministerium. Verstädterung, höhere Lebenserwartung, Rückgang der Kinder- und Müttersterblichkeit seien Kennzeichen des gesellschaftlichen Wandels, der auch zur Veränderung der Krankheitsprofile und der Mortalitätsursachen führe. Für 2007 werde in Marokko ein Umsatz von 750 Mio. Euro für Medikamente und für Krankenhausleistungen in Höhe von 80 Mio. Euro erwartet. Die Marktchancen der marokkanischen Pharmaindustrie, häufig Niederlassungen multinationaler Konzerne, die sich an Normierungen der EU orientieren, stehen gut, da eine obligatorische Krankenversicherung eingeführt wurde. Gleiches gelte für die Exportchancen aufgrund geringer Produktionskosten, höher Qualitätsstandards (WHO-Zertifizierungen), geographischer Nähe zu Europa und Freihandelsabkommen mit den USA, dem Vereinigten Königreich, der Türkei und arabischen Nationen.

Die deutsche Sicht des Pharmamarktes vermittelte Matthias Hevert, Geschäftsführer der Hevert-Arzneimittel GmbH & Co. KG am Beispiel apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtiger Medikamente. Die Branche stehe unter hohem Druck durch die gesundheitspolitisch begründete Auslistung zahlreicher Präparate und die Tendenz zu Apothekenketten. Über höhere Verkaufspreise könne dem jedoch nicht entgegen gewirkt werden, da der Kunde bei OTC- (Over the Counter) Produkten die Überschreitung bestimmter Preisgrenzen nicht akzeptiere.

Dass sich gute Chancen für den Gesundheitsmarkt in den arabischen Ländern bieten, bestätigte Dr. Martina Muttke (Bayer Schering Pharma AG). Den wissenschaftlichen und medizinischen Standard dort stufte sie als sehr hoch ein, doch erfolgreich könne nur ein Unternehmen sein, das sich den örtlichen Gegebenheiten gegenüber den lokalen Behörden und den Patienten anpasse. Zu diesen Unterschieden gehören auch, laut Prof. Ivar Roots (Charité, Direktor des Instituts für klinische Pharmakologie), kulturelle Unterschiede in der Stoffwechselreaktion auf Medikamente oder, so Prof. Elisabeth Steinhagen-Thiessen (ebenfalls Charité), bei der Artheriosklerose. Entscheidend seien, unterstützte Prof. Dr. Andreas Pfeiffer (ebenfalls Charité) Frau Dr. Muttke am Beispiel der Diabetesbehandlung, der medizinische Kontakt vor Ort. Er wies darauf hin, dass der größer werdende wirtschaftliche Wettbewerb Spezialisierungen erforderlich mache, z. B. durch Telemedizin.

Rehabilitation, Krankenversicherung, Stand der Medizintechnik:

Digitale Bildkommunikation am OP-Tisch präsentierte Jürgen Kuckert (Maquet GmbH & Co. KG); über die medizinische Bildgebung im Bereich röntgenbasierter Intervention referierte Martin Törnvik (Ziehm Imaging). Für ihre Effizienz steigernde Technik wurde dem Unternehmen der Technology Leadership Award 2007 zugesprochen.

Künstliche Kniegelenke mit einem Beugungswinkel bis 155 Grad („Journey System“) stellte der Orthopäde Dr. Patrik Reize vor, Medizinischer Direktor am Klinikum Stuttgart. Als Beispiel quter Rehabilitationsmedizin präsentierte Prof. Dr. Bernd Frank, Direktor der Klinik Leezen, sein in Mecklenburg gelegenes Haus.

Dr. Munter Sabarini, Direktor der International Spine Clinic in Berlin, stellte für 2009 die erste Anwendung eines Regeneration Promotimg Treatment (RPT) in Aussicht, dass durch Biosynthese die Narbenbildung verhindert. Sie nämlich beeinträchtige die Nervenregenation. Angesichts des Umstandes, dass chirurgische Eingriffe einschließlich Rehabilitation im Durchschnitt Kosten von 150.000 bis 200.000 Euro je Fall verursachen, sind verbessernde Maßnahmen für den Heilungsprozess geboten.

Gedanken zu einem noch neuen Geschäftsfeld in Arabien, der privaten Krankenversicherung, formulierte Alexander Brams, Vorstandsmitglied der Nürnberger Krankenversicherung AG. In den durch Öl wohlhabend geworden Ländern, in denen bisher der Staat die Gesundheitskosten übernimmt, gibt es Überlegungen für ein privates Versicherungssystem. Notwendig bleibt die Krankenversicherung allemal für Expatriates. Joint ventures unter wissenschaftlicher Begleitung hielt der Referent für ein mögliches Modell bei der Übertragung des Versicherungsgedankens in andere Länder. Voraussetzung hierfür seien aber stabile rechtliche Rahmenbedingungen, Infrastruktur und medizinische Standards für Privatpatienten, u. a. um zuverlässig Tarife kalkulieren zu können. Vorbild könne das erfolgreiche deutsche System der privaten Krankenversicherung sein, das in keinem anderen Land Europas so gut neben der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelt sei.

Besonderes Augenmerk wurde während des Kongresses natürlich dem arabischen Gesundheitstourismus nach Deutschland gewidmet, einmal durch Dr. Christoff Jenschke, Leiter der Rechtsabteilung beim Roten Kreuz Berlin, und durch Dr. Uwe Klein, Direktor der Münchener Europe Health GmbH. Beide zeigten die Kriterien auf, um gute von unseriösen Agenten und Dienstleistern zu unterscheiden, die arabische Patienten nach Deutschland vermitteln und dort versorgen wollen. Diesem Thema wird sich die Ghorfa mit einem besonderen Kongress, in Zusammenarbeit mit der Europe Health GmbH, vom 9. bis 11. April 2008 in München widmen, dem 1. European Congress on Health Tourism.

Medizinischer und wirtschaftlicher Fortschritt, so kann zusammenfassend festgestellt werden, schafft neue Märkte. Steigender Lebensstandard in den arabischen Ländern lässt die Ansprüche wachsen. Er führt aber auch zu anderen Krankheitsbildern und Bedürfnissen. Die Veränderungen äußern sich einerseits in höherer Lebenserwartung, verbunden mit steigenden Gesundheitskosten, andererseits in bisher unbekannten, zivilisationsbedingten Krankheiten wie Diabetes, Herzkrankheiten, Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates, während Kinderkrankheiten und Epidemien auf dem Rückzug sind.

Hinzuweisen bleibt auf das 3. Deutsch-Arabische Gesundheitsforum vom 28. bis 29. Oktober 2008 in der Handelskammer Hamburg.